Liebe Lilli,
Danke, dass Du uns alle an DAS Dauerthema schlechthin
erinnert hast: Glück! Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit und zum
Jahreswechsel hin wünschen wir uns das besonders oft auch gegenseitig.
„Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr“ leuchtet uns von überall
entgegen – und wir selbst richten diese gut gemeinten Wünsche an unsere
Liebsten, an Freunde, Kollegen und Bekannte, ja sogar an Unbekannte – wie zum
Beispiel an unsere stillen Leser. Und das ist auch gut so.
Du hast natürlich Recht: Mancher meint, beim Glück bisher zu
kurz gekommen zu sein.
Und natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen wir
mehr Unglück als Glück empfinden. Gerade jetzt geht es weltweit vielen Menschen
gar nicht gut – sie können nicht so recht glücklich sein: Mit Nelson
Mandela ist einer der ganz Großen von
uns gegangen.[1] Und obwohl die Menschheit
wirklich glücklich sein könnte, dass es ihn überhaupt gegeben hat, dass er
unter uns weilte und die Welt ein wenig besser gemacht hat, will und kann sich
Angesichts der Trauer um seinen Tod kein Glücksgefühl einstellen. Aber auch das
ist gut. Denn wenn wir Unglück, Trauer oder Leid nicht mehr empfinden würden –
was wäre dann das Glück noch wert?
© Karin Rasmussen |
Zum
Beispiel das Glücksgefühl, das wir über eine richtig gute Nachricht empfinden
können: „Ihre schwere Operation ist erfolgreich verlaufen, Sie werden wieder
vollständig gesund!“ Wer würde bei dieser Nachricht herum maulen: “Es wäre
besser gewesen, wenn ich erst gar nicht krank geworden wäre“? Gerade gestern
habe ich eine meiner tapfersten Freundinnen im Krankenhaus besucht. Mit
leuchtenden Augen und strahlendem Lächeln begrüßte sie mich vom Krankenbett
aus, voller Freude, mir diese gute Nachricht ihres Arztes weitergeben zu
können. Du kannst Dir denken, wie froh auch ich sofort war. Ich hatte mir
wirklich große Sorgen gemacht, ja richtig Angst um sie gehabt. Wir kennen uns
seit fast 20 Jahren. Damals saß sie schon einmal mit leuchtenden Augen vor mir.
Es war ein Seminar, bei dem es um die mitreißende Wirkung charismatischer
Führungskräfte ging. Die Gruppe war eher skeptisch, ob man solchen „Typen“
vertrauen dürfte. Aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte war diese
Skepsis zwar verständlich – nur die Schlussfolgerung, ohne Charisma mehr
erreichen zu können, war ganz
offensichtlich auch falsch. Und plötzlich explodierte mitten aus der Gruppe
heraus eine kleine zierliche, exotisch aussehende Frau. „Ich weiß genau, was
Sie meinen: bei uns in Ägypten haben Frauen keine öffentliche Stimme. Sie
werden gar nicht wahrgenommen, stehen im Schatten der Männer und können kaum
selbst für ihre Rechte eintreten. Wenn es mutige Frauen gäbe, die öffentlich
auftreten würden und so eine mitreißende Ausstrahlung hätten, dann würden
bestimmt ganz schnell viele andere Frauen diesem Beispiel folgen. Ich habe hier
in Deutschland erlebt, was Frauen bewegen können. Und ich möchte, dass auch in
meiner Heimat die Frauen genau so selbstverständlich wie hier eine gute Bildung
und qualifizierte gut bezahlte Arbeit bekommen. Und dass sie für sich selber
sorgen können. Und ich bin überzeugt, dass wir dafür eigene Vorbilder brauchen.
Es muss auch bei uns Frauen geben, die ihr Charisma für mehr einsetzen als nur
für die Suche nach einem guten Ehemann. ....“ Als wäre sie vor sich selbst erschrocken,
hielt sie inne. Und dann begann die ganze Gruppe praktisch zu toben. Es gab
lauten Beifall, begeisterte Zurufe, einige sprangen auf und umarmten sie – wir
mussten erst mal eine Pause einlegen.
Als wir
unser Seminar dann fortsetzten wurde klar, was alle so mitgerissen hatte. Es
war dieser unerwartete Auftritt einer ansonsten eher stillen und unauffälligen
Frau – ihr Charisma war sichtbar, spürbar geworden. Sie selbst hatte bis dahin
gar nicht gewusst, wie viel Kraft sie ausstrahlte.
Heute bin
ich sehr froh darüber, das damals unmittelbar erlebt zu haben. Denn ohne diesen
Ausbruch hätten wir uns vielleicht aus den Augen verloren. So aber wurden wir
Freundinnen. Und ich konnte miterleben, wie sie im Arabischen Frühling erneut
mit leuchtenden Augen und jetzt ganz absichtlich ihre mitreißende Ausstrahlung
einsetzte. Für ihre Frauenprojekte in Kairo hat
sie Mitstreiterinnen und auch männliche Mitstreiter gefunden. Mit
Hartnäckigkeit und Geduld hat sie Partner und Helfer um sich geschart, die
alleinerziehenden Frauen legale Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Damit
können sie ihren Kindern eine bescheidene Sicherheit bieten. Denn
unverheiratete Mütter gelten in Ägypten wenig, egal ob sie verwitwet sind oder
verstoßen wurden – wenn sich kein Mann für sie findet, droht ihnen und ihren
Kindern das blanke Elend. Sie werden besser akzeptiert, wenn sie mit zum
Einkommen der Großfamilie beitragen oder ganz für sich selbst sorgen können.
Und
meine Freundin? Manchem erscheint sie vielleicht gefährlich, wild, unweiblich.
Doch das ist sie nicht. Sie ist immer noch zierlich, wunderschön, exotisch. Und
sie ist das Vorbild, die Stimme dieser Frauen – sie verhandelt mit
Geschäftsleuten, mit Handwerkern und Ärzten, mit jedem, der helfen kann. Sie
mobilisiert ihre internationalen Freunde. (Wie wunderbar, liebe Lilli, dass Du
schon früher auch von Kairo geträumt hast – eine weitere Gemeinsamkeit zwischen
uns!) Und sie lehrt die Frauen Lesen, Rechnen, Selbstbewusstsein und Mut. Sie
erklärt ihnen die ägyptische Revolution. Sie hilft ihnen zu verstehen, welche
politischen Kräfte sich gegenüberstehen. Und sie engagiert sich für ein
demokratisches Ägypten. Das ist zurzeit gar nicht ungefährlich. Es kostet viel
Kraft. Leider hat es sie zu viel Kraft gekostet. Sie ist schwer krank geworden.
Doch statt sich selbst leid zu tun und ihr Unglück zu beklagen, bedauert sie
die Unterbrechung ihrer Arbeit. Und ist glücklich über die gute Nachricht ihres
Arztes. Sie sagt mir: „Was für ein Glück, dass ich bald wieder an meine Arbeit
kann. Ich will an einer Universität lehren, dafür bessere ich jetzt mein
Englisch auf. Wir müssen ja auch international klar machen, was die ägyptische
Revolution erreichen will.“ Ich kann sie nur bewundern. Und glücklich sein, so
eine Freundin zu haben. Sie ist für mich so etwas wie „mein eigener Nelson
Mandela“ – warmherzig, großzügig, selbstlos und gleichzeitig mutig und
entschlossen. Wenn ich sie nach ihrem Glück frage, dann berichtet sie mir von
ihrer Arbeit, von ihrer Familie und ihren Freunden. Ganz nebenbei erwähnt sie
dann auch mal sich selbst und ihre Krankheit, aber nur kurz und nur auf
Nachfrage. Sie ist glücklich über das, was sie tut. Ich glaube, dies ist der
alles entscheidende Kern von Glück: Nicht was wir „kriegen“, sondern was wir
bewusst geben können, macht uns glücklich. Das ist ja auch so eine uralte (Bibel-)
Weisheit: Geben ist seliger denn Nehmen![2] Und
meine Freundin gibt mir viel Kraft. Sie stärkt meinen Glauben daran, dass es
viele gute Menschen gibt in der Welt, die für andere da sind und die froh sind,
anderen etwas geben zu können.
© für das Foto über Karin Rasmussen[3] |
Denn
jeder von uns hat etwas zu geben! Allerdings glauben das leider viele Menschen
noch nicht: Sie glauben es nicht von sich selbst und sie glauben es nicht von
anderen. Du schreibst: „Viel zu viele Menschen laufen noch mit viel zu vielen
Sorgen, Ängsten und Nöten durch die Welt – und wollen sich nicht helfen lassen.“
Warum wollen sie das nicht: Weil sie glauben, es gäbe keine Hilfe? Oder weil
sie glauben, niemand wäre bereit zu helfen? Oder gar deshalb, weil sie
niemandem mehr zutrauen als sich selbst – wenn ich selbst meine Probleme nicht
lösen kann, dann kann das niemand? Du hast völlig Recht: Für viele Menschen
gibt es diesen „inneren Link: UNERREICHBAR“! Das ist sehr schade, denn oft verbirgt sich
dahinter nur so etwas wie Vergesslichkeit. Die Menschen vergessen einfach, was
alles sie schon erreicht haben! Und es ist immer lohnend, sie daran zu
erinnern. Ihnen bewusst zu machen, wie viel Kraft in ihnen steckt und wie viele
Helfer es für sie gibt. Deine Erinnerung an Claudia, die Juristin aus München
und ihre Trauminsel, auf der sie einst so glücklich war, ist ein gutes Beispiel
dafür. Dass sie Dich eingeladen hat und dass Du mit ihr tatsächlich auf diese
Insel gefahren bist, war für Euch beide so ein Stück von wiedergefundenem Glück
– Du konntest Deine Sehnsuchtsinsel viel intensiver erleben als in Deinen
Wunschträumen und sie konnte Dir etwas von ihrem Glück abgeben, ihre
Traurigkeit überwinden. Und auch Kairo und Leipzig hast Du erlebt – und auch
dort warst Du glücklich, weil Du anderen etwas geben konntest. Du hast nicht
„Opfer“ gebracht, sondern Dir das Glück erlaubt. Ganz im Sinne von Marc Aurel: „Das
Glück im Leben hängt von den guten Gedanken
ab, die man hat.“[4] Und es stimmt, dass
man dafür auch manchmal Geduld mit sich selbst haben muss. Dass man daran
glauben muss, dass Unglück vergeht, dass man nach dem Unglück auch wieder Glück
haben wird. Denn natürlich wollen alle Menschen glücklich sein – nicht immer,
aber immer öfter!
Du
sagst: „Wenn sich Menschen von ihren glücksfeindlichen Elementen in Körper,
Geist und Seele befreit haben – dann wollen – und werden - sie glücklich sein
können.“ Und: „Glück kann man lernen!“
Ja,
und genau darum geht es ja auch in unserer Arbeit. Manchmal treffen auch wir –
so wie Eckart von Hirschhausen – auf Menschen, die gern unglücklich sind und
dennoch in der Hoffnung zu uns kommen, dass wir sie von ihrem Unglück befreien.
Sie sind noch nicht so weit, dass sie es selbst tun können oder wollen. Wir
sollen es für sie tun. Und dass sie mit ihren Sorgen zu uns kommen, sehen sie
schon als ihren (ausreichenden) Beitrag an. Denn es hat sie Überwindung
gekostet. Und sie wissen, dass auch wir es nicht umsonst tun, dass sie uns
zuhören und uns auch bezahlen müssen – warum sollen sie also noch mehr leisten?
Warum sollen sie nun auch noch einen anstrengenden, steinigen Weg der
Veränderung gehen? Sie geben uns doch die Chance, sie glücklich zu machen. Aber
damit geben sie uns auch die Verantwortung. Und das ist ihr Irrtum. Glücklich
kann keiner werden, der dafür nicht selbst die Verantwortung übernimmt.
© für das Foto über Karin Rasmussen |
Die
Zitate, die Du von Alten und Sterbenden anführst, sind dafür beredter Beweis.[5] Wer
sein Glück in fremde/andere Hände legt, vergibt sich selbst die Möglichkeit,
glücklich zu werden. Nicht nur Lottogewinner machen diese Erfahrung. Sie hatten
zwar „Glück“ – aber sind sie deshalb glücklicher? Vielleicht, wenn sie vorher
Geldsorgen hatten, fühlen sie sich für eine Zeit lang glücklich, weil sie diese
Sorgen erst einmal los sind. Und dann? Dann kommen neue Sorgen und Zweifel:
Gehe ich mit dem Geld richtig um? Mögen meine Freunde wirklich mich oder doch
nur mein Geld? Wie lange wird es reichen? Oder: Was werden andere jetzt von mir
halten, werde ich mit Neid und Missgunst leben müssen? Darf ich zeigen, wie gut
es mir geht?
Liebe
Lilli, ich schließe mich Dir an: Reißen wir jetzt, wo wir leben, das Steuer herum:
Gönnen wir uns ein erfülltes Leben! Fragen wir uns immer wieder, wie wir das
Glück für uns finden können? Oder auch wo? Ja, vielleicht in Dänemark – dort
habe ich schon viele glückliche Stunden und noch mehr glückliche Menschen
erlebt: Gelassen, freundlich, hilfsbereit und zufrieden mit ihrem Leben. Sie
alle hatten Freunde und Familien. Und alle taten sie etwas – für andere und für
sich! So wie wir beide auch: Wir coachen,
weil es uns Spaß macht und Erfolg bringt – und weil es anderen nützt. Du
hast natürlich Recht: Auch wir können nicht jedem helfen. Das wäre vermessen.
Vielleicht helfen wir noch nicht mal jedem, der zu uns kommt. Denn auch wir
haben Grenzen und auch für uns gehört zum Erfolg immer ein bisschen Glück. Aber
– auch das ist Glück – es hat ja nicht jeder Mensch Probleme, nicht jeder ist
unglücklich, auch nicht jeder Hochbegabte. Im Gegenteil. Wenn von den
statistisch zu erwartenden rund 1,6 Millionen Hochbegabten in unserem Land und
den etwa 1,3 Millionen Erwachsenen unter ihnen (auf die wir spezialisiert sind)
nur 10% (= 130 000) mit Problemen zu uns und den anderen Hochbegabten-Coaches
kämen, wären wir alle schon weit über unsere Lebenszeit hinaus schwer
beschäftigt. Es ist also kein Ende abzusehen für den Job, der uns glücklich
macht! Und dafür müssen wir nicht mal nach Dänemark. Jedenfalls nicht, um nach
unseren Coachees zu suchen. Es gibt sie hier und sie finden uns auch hier –
genau so wie wir unser und sie ihr Glück HIER finden können.
© Karin Rasmussen |
Zur
Erholung, Entspannung sowie für weitere Glücksmomente können wir ja trotzdem
allein oder gemeinsam mit ihnen auch in andere schöne Gegenden dieser
wunderbaren Welt reisen. Real oder in guten Gedanken. Es geht also weiter: Mit
uns, mit dem Glück und bald auch mit unserem Gedankenaustausch. Hier ist ein
Satz, der mir immer wieder, auch in Gedanken, bei jeder neuen Begegnung und
erst recht bei der Bewältigung von Schwierigkeiten Kraft verleiht:
Es
ist ein Glück, dass es Dich gibt!
Liebe
Lilli, Ich wünsche Dir Glück, Muße um es zu genießen und viele liebe Menschen,
die es mit Dir teilen.
Und
ich umarme Dich,
Deine
Karin
[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/nelson-mandela-nachruf-auf-den-held-der-freiheit-a-937504.html
http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-12/nelson-mandela-nachruf
[2]http://bibel-online.net/buch/luther_1912/apostelgeschichte/20/
[3] Skulptur von Karl Ulrich
Nuss aus dem Zyklus „Zehn Paare“ (2008)
in der
Skulpturenallee Strümpfelbach
[4] http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/zitate.htm
[5] Ware, Bronnie: 5 Dinge,
die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern
werden. 6.
Auflage Verlag Arkana 2013 ISBN-13: 9783442341290
http://www.welt.de/vermischtes/article13851651/Fuenf-Dinge-die-Sterbende-am-meisten-bedauern.html