Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 17. Februar 2013

Ein Quantum Frohsinn


Liebe Karin,

ausgezeichnet! Exzellent! Du hast es mal wieder bemerkenswert auf den Punkt gebracht: Wir Menschen stehen immer wieder zwischen Pflicht und Neigung. Und nicht nur das: Wir stehen immer mehr und immer öfter in der Pflicht. 

Unser Leben wird zunehmend differenzierter. Uns reicht es nicht mehr zu wissen, was in unserer Gemeinde los ist, in unserem Bundesland und in der gesamten Republik. Wir wollen heutzutage auch informiert sein, was in unseren Nachbarländern vor sich geht, in Europa. In der Welt.

Mehr Pflicht als Neigung?

Es gab mal eine Zeit, in der wir täglich eine Zeitung gelesen und die Tagesschau gesehen haben. Heutzutage lesen nicht nur Hochbegabte – im Internet – die Newsletter von einem halben Dutzend Medien, haben nebenher n-tv oder N24 eingeschaltet – manchmal auf einem weiteren TV-Gerät auch noch BBC oder CNN. Und wir lassen uns die BREAKING NEWS per SMS schicken.

Wir wollen Bescheid wissen. Und wir wissen Bescheid. Wir kennen die News dieser Welt zumeist besser als unsere Grosseltern. Wir wissen, wer wo gerade welche Politik macht, kennen stets die aktuellen Börsendaten und behalten den Überblick, wer wo im Sport soeben gewonnen hat.

Geistig locker aufgearbeitet, verfolgen wir sodann mühelos die einschlägigen Talkshows zu fast allen Themen dieser Welt. Manche von uns auch noch gleich in drei bis fünf Sprachen und Kulturen. Wir sind Weltbürger und wissen Bescheid. Bravo! Bravo?

Nicht selten haben wir darüber vergessen, was in uns selbst vor sich geht. Wie es um uns steht. Um unseren Körper. Unsere Seele. Unser Leben. Wie eine soeben veröffentlichte Studie zeigt, hat unsere Belastung in den letzten zwei Jahren erkennbar zugenommen. Und so wundern wir uns nicht, dass es heisst: Fast die Hälfte der Deutschen klagt einer Umfrage zufolge über wachsenden Stress am Arbeitsplatz. Jeder Vierte verzichtet sogar auf Pausen.“ (1).

Mehr Pflicht als Neigung.
Wie gehen Hochbegabte damit um?

Auch die Belastungen im Privatleben nehmen zu und differenzieren sich immer weiter. Um unsere Kinder angemessen begleiten zu können, sind wir zunehmend zu Bildungspolitikern geworden (ganz zu schweigen von ADHS-ADS-Gelehrten), für unsere Grosseltern werden wir immer öfter zu Gesundheitsexperten und für unser eigenes Leben? Wir managen unsere Love Story, unsere Karriere, unseren täglichen Lebensablauf, unsere Hobbys, unseren Urlaub.

Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Wir fühlen uns mit all diesen Anforderungen überfordert, verlieren den Durchblick und Überblick. Und werden schliesslich bewegungslos, wenn wir vergessen haben, rechtzeitig die Handbremse zu ziehen.
Entschleunigung ist zunehmend zum Modewort geworden.  SPIEGEL ONLINE spricht von „Entschleunigung: Der Trend zu weniger Tempo“ (2), ZEIT ONLINE schreibt über die „Einladung zur Langsamkeit“ (3) und das ERSTE DEUTSCHE FERNSEHEN (ARD) hat zum Thema in diesem Monat eine eigene Sendung aufgelegt: „Planet Wissen: Entschleunigung für Anfänger!“ (4).

Pflicht und Neigung. Entschleunigung als Verpflichtung? Und wie geht es weiter?

Warum können – wollen – wir uns nicht mehr Freizeit, Auszeit, Sabbatical erlauben? Oder den Eintritt in eine andere Zeitqualität, wie es uns Benedictus PP. XVI gerade vorgemacht hat?

Ich erinnere mich an einen ehemaligen Instituts-Kollegen – Psychologe – der uns immer wieder motivierte, Frei-Stunden und freie Tage einzulegen. Um in die Stille zu gehen. Um wieder zu uns selbst zu kommen. Um locker zu bleiben für die Anforderungen, die noch vor uns stehen. Denn Herausforderungen können wir nicht nur am Schreibtisch bestehen. Die deutsche Lyrikerin Else Pannek sagte einmal: „In die Stille zu horchen, lässt Antworten finden.“

Ich habe das erst noch lernen dürfen. Aber inzwischen habe ich auch die Erfahrung gemacht: Wenn wir eine Lösung finden wollen. Wenn wir dauerberieselt sind. Wenn wir gefangen sind im inneren und äusseren Lärm. Dann hilft ein Schritt in die Freiheit. In die Stille (5).



Foto: Saskia-Marjanna Schulz

In der Stille können wir auch leichter einen neuen Blick werfen auf Pflicht und Neigung. Wir können uns anregen, weit über den Tellerrand hinaus zu blicken. Bis ins 18. Jahrhundert. Nebenbei einem Staatsminister des Herzogtums Sachsen-Weimar ein wenig über die Schultern schauen. Wir sehen: Der Minister liebt es, sich in seiner Freizeit der Dichtkunst hinzugeben. Und so werden wir Augenzeuge, wie er gerade seine Heldin formt: Iphigenie (6).

Kein wirklich neuer Stoff, der ihm da eingefallen ist. Daran haben sich schon andere Denker versucht – Euripides zum Beispiel. Doch was unser Staatsdiener hier in dieses leicht verstaubte Drama einwebt - ist wirklich neu: das klassische Humanitätsideal. Und so lässt der „Feierabend-Dichter“ Iphigenie über sich hinauswachsen. Nach überstandenem Leid, inneren Kämpfen und Katharsis wächst die einst Todgeweihte zu ihrer wahren Grösse:  Iphigenie rettet das Leben ihrer Lieben wie ihr eigenes Leben.

Und mit Menschlichkeit, Anstand und Würde macht sie (!) sich (!) selbst (!) den Weg frei. Kein Deus ex machina („Gott aus der/einer Maschine“) muss gerufen werden. Mit der Macht ihrer Einstellung und Haltung hat sie die Kraft die Situation angemessen zum Guten zu wenden. Es gelingt ihr, Pflicht und Neigung in Harmonie zu bringen. Und dem Minister – Goethe – Du weisst es längst – gelingt hier ein Meisterwerk.



 Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Dass es in der realen Welt nicht immer möglich scheint, das Leben noch zum Guten zu wenden, erfahren nicht nur wir beide als Coach Tag für Tag. Und auch: Dass eine Wendung zum Besseren öfter möglich ist als zunächst gedacht.

Für Deinen „Trick“ – wie Du es nennst – bin ich Dir sehr dankbar – ebenso wie für diese Zeilen: „Bei meinen Coachees wird deshalb gelegentlich ein Trick wirksam: Sie finden sich „meistens“ gut! Du kennst das sicher. Hier soll durch ein ÜBERWIEGEND positiv klingendes Selbstbild gleich auch der Selbstzweifel minimiert werden. Damit wollen sie den Eindruck einer soliden Selbstsicherheit, der prinzipiellen Selbstannahme und des stabilen Selbstvertrauens erwecken.“

Wie hilfreich das ist, sich selbst gut zu finden, zeigt auch eine Studie über die „Bild der Wissenschaft“  am 15.06.2012 berichtet: „Studie belegt: Wer sich in positiven Lebenseinstellungen übt, steigert seine Lebensqualität“ (7) Und weiter: „Wer demnach positive Lebenseinstellungen wie Neugier, Dankbarkeit, Optimismus, Humor und Enthusiasmus regelmäßig übt, steigert sein geistiges Wohlbefinden, berichten die Psychologen um Willibald Ruch von der Universität Zürich.“

Viele Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass eine positive Haltung mit psychischem Wohlergehen in Verbindung steht. Jedoch: „Dass sie sich aber ursächlich auf die Lebenszufriedenheit auswirken und dass ihr Training eine Steigerung des Wohlbefindens zur Folge hat, haben Willibald Ruch und seine Kollegen nun erstmals wissenschaftlich nachgewiesen.“ (8)

Mit anderen Worten: Wenn wir uns auf bestimmte Themen und deren Inhalte konzentrieren, steigern wir unser Wohlbefinden! Neugier, Dankbarkeit und Humor stehen dabei ganz oben auf der Hitliste. Wie gut, dass wir unser Schicksal – auch – selbst bestimmen können. Was können wir nicht alles erreichen, wenn wir uns täglich ein wenig darin üben?

Wie wäre es denn, wenn wir mit LACHEN beginnen würden? In Köln geboren ist mir der Humor mit in die Wiege gelegt worden. Und das Lachen ist für mich so selbstverständlich wie das Zähneputzen. Und ebenfalls sehr gesund:

  • Lachen kann Stress abbauen.
  • Lachen entspannt.
  • Lachen soll Glückshormone freisetzen. (9)


Die Süddeutsche.de schreibt: „Eine Dosis Lachen, bitte: Ärzte in den USA haben herausgefunden, dass Lachen gegen Herz- und Gefäßkrankheiten helfen kann. Ein lustiger Film am Tag genügt.“ (10)

Das ist nicht wirklich neu. Schon Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) wusste: „Lachen ist eine körperliche Übung von großem Wert für die Gesundheit.“


Foto: Saskia-Marjanna Schulz (11)

Auf denn! Gönnen wir uns täglich unser Quantum Frohsinn.

Mein Schneemann und ich grüssen Dich mit einem lachenden Herzen.
Deine Lilli


3 Einladung zur Langsamkeit
4 Planet Wissen: Entschleunigung für Anfänger!
5 Hier können wir Anregungen finden:
Die grosse Stille
Israel "IZ" Kamakawiwoʻole: Somewhere over the Rainbow
JOSEPH VON EICHENDORFF: Die Stille
6 Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe
Projekt Gutenberg
7 Polierte Einstellungen lassen das Leben glänzen
8 a.a.O.
9 Vgl. dazu: Darum ist Lachen so gesund
10 Lachen als Therapie
11 Saskia-Marjanna Schulz http://yesbusinesscoach.blogspot.de/

Sonntag, 3. Februar 2013

Du bist gut – so wie Du bist!

Liebe Lilli,
danke, dass Du nach unserer „Feiertagspause“ so pünktlich, zuverlässig und herzlich wieder eine spannende Antwort für mich hast! 

Ich muss gestehen, die Pause hat mir gut getan – Dir hoffentlich auch? Ich hatte über den Jahreswechsel so viele unterschiedliche Eindrücke und Anregungen, dass ich erst mal sortieren musste: Was ist gut und hilft weiter, was ist eine zu lösende Aufgabe, was stört, wer braucht was und worauf kann verzichtet werden? Immer, wenn ich darüber grübele, was ich in unseren Gedankenaustausch einbinde, wird für mich vieles klarer. Es gibt ja tatsächlich unendlich viele spannende Themen, Ereignisse und Herausforderungen – und das nicht nur zum Thema Hochbegabung. Manchmal denke ich sogar, dass dieses Sortieren und Entscheiden, womit ich mich gründlich beschäftigen möchte, eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt ist. 

Will ich vor allem Spaß haben? Dann beschäftige ich mich mit vielen „unnützen“ Sachen. Will ich lieber anderen nützlich sein? Dann habe ich viel weniger Spaß (weil die nützlichen Sachen oft nur einen geringen Neuigkeitswert haben und viel Routinearbeit erzwingen), aber ich bekomme mehr Anerkennung. Und wenn ich darüber nachdenke, wobei ich Spaß und Nutzen verbinden könnte, dann fallen mir wieder ganz andere dringende Sachen ein, die auch spannend und wahrscheinlich sogar nützlich wären, aber z. B. an Zeitmangel scheitern. Denn ich weiß ja, meine Lebenszeit ist begrenzt und ich will sie sinnvoll nutzen.

Und genau jetzt kommst Du mit Deiner Frage: „Warum ist das nicht selbstverständlich, dass Menschen denken: Ich bin gut!?“

Nun, wahrscheinlich genau deshalb. Wir alle verbringen unseren Alltag mit einem Wechsel zwischen Pflicht und Neigung (1), weil uns die Harmonie von beidem so selten gelingt. Und immer wenn uns das klar wird, sind wir frustriert oder wir haben ein schlechtes Gewissen. Wir haben entweder unsere Pflicht erfüllt, ohne Spaß daran zu haben. Oder wir sind unserer Neigung gefolgt, hatten Spaß und haben uns zu wenig um unsere Pflichten gekümmert. Und darum, weil wir gerade wieder mal das „Falsche“ getan haben, sind wir eben nicht gut! Wenn das anderen auffällt, dann lassen sie uns das auch wissen: Eigentlich ist doch ständig irgendjemand von uns enttäuscht. Das wollten wir zwar nicht, aber es ist nun mal so – letztendlich haben wir uns vielleicht sogar selbst enttäuscht. Daher die Gelbe oder Rote Karte, die wir uns selbst verpassen, wenn wir mal auf den Gedanken kommen „Du bist gut.“

Es stimmt eben nur manchmal.
Bei meinen Coachees wird deshalb gelegentlich ein Trick wirksam: Sie finden sich „meistens“ gut! Du kennst das sicher. Hier soll durch ein ÜBERWIEGEND positiv klingendes Selbstbild gleich auch der Selbstzweifel minimiert werden. Damit wollen sie den Eindruck einer soliden Selbstsicherheit, der prinzipiellen Selbstannahme und des stabilen Selbstvertrauens erwecken.

Sogar der erfolgreiche Professor in Deiner Geschichte wurde mit diesem Trick ermutigt: „Du bist ein KLEINER ‚Lieber Gott‘. Du schaffst es!“
Natürlich nur ein „kleiner“ Gott! Natürlich nicht allmächtig, wie der wahre Gott. Nur allmächtig für bestimmte Ziele, Aufgaben, Erfolge im eigenen Leben! Und wer da versagt, der ist „auch nur ein Mensch!!!“ Oder die Umstände sind schuld! Denn an uns selbst liegt es ja nicht. Als „kleiner“ Gott können wir eben doch nicht ALLES.

Mancher versucht mit diesem Euphemismus seinen Perfektionismus zu überwinden.
Aber was ist nun mit: WOW! Wir sind alle Götter? Und mit Johannes:  „Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben …“ (2)? Du meinst, man muss sich helfen lassen wollen. Und dass das Schwerstarbeit sei für Hochbegabte.

Nun ja, wir beide wären ja schon längst verzweifelt, wenn wir nicht immer wieder um Hilfe gebeten würden. Es gibt sie, die Menschen, die bei uns Hilfe suchen. Nur ist es eben mit den Hochbegabten ziemlich anstrengend: Sie erwarten von uns eine Hilfe, die sie woanders oft schon vergeblich gesucht haben. Sie haben Bücher gelesen, mancher hat sogar extra Psychologie studiert, andere haben Berater und Therapeuten „verschlissen“. Und das Ergebnis? Nichts und Keiner hat geholfen! Ich werde häufig damit konfrontiert, dass jede meiner Fragen beantwortet wird mit: Kenne ich schon, hat nicht funktioniert weil…, bringt nichts wegen…, geht nicht denn…  Du kennst das auch, zunächst muss man erst mal das eigene Wissen vor dem Coach ausbreiten. Ihn/Sie beeindrucken mit der eigenen Kompetenz und damit zeigen, dass man eigentlich nur ein ganz kleines bisschen Hilfe braucht. Und dass man sich diese Hilfe eigentlich auch selbst geben könnte, wenn … Und dass man einen Coach auf keinen Fall für einen „Gott“ hält, auch nicht für einen kleinen!

Liebe Lilli, wir beide wissen, dass auch wir uns dafür nicht halten. Wir sind keine Götter, sondern wir sind stolz auf unser Menschsein. Mit allen Unvollkommenheiten. Und warum sollten wir auch nicht stolz darauf sein? Warum können so viele Menschen darauf einfach nicht stolz sein?

Weil es nichts Besonderes ist!
Weil es nichts Besonderes ist???
Jeder einzelne Mensch ist etwas Besonderes! Buchstäblich jeder ist unverwechselbar einzigartig! Dafür muss man noch nicht mal hochbegabt sein! Und selbst wenn man es ist, so ist man doch immer noch einer von Vielen! (3)

Soll man „große“ Taten vollbringen, ein Held sein? Muss man aus der Hochbegabung „etwas machen“?

Oder muss man, um etwas Besonderes zu sein, besonders schwerwiegende, kaum zu lösende Probleme haben? Muss man sich die Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung von Anderen erkämpfen, erarbeiten, ertrotzen, verdienen durch den Nachweis von etwas Besonderem?

Ich glaube, macheiner lässt sich gerade durch den Mangel an Akzeptanz, den er/sie durch andere erfährt, zu diesem Gedanken verleiten. Und versucht dann mit allen Mitteln, das ganz Besondere zu sein – was die anderen scheinbar oder wirklich nicht sehen. Von seltsamen Verhaltensauffälligkeiten bis zu extremer Lebensweise gibt es unendlich viele Beispiele dafür, wie Menschen versuchen, sich künstlich von anderen abzuheben. Dabei sind sie doch von Natur aus anders als jeder andere!

Und wenn wir uns alle gegenseitig genauer, aufmerksamer und respektvoller zur Kenntnis nehmen würden, dann wäre dieser ganze Selbstdarstellungsaufwand gar nicht nötig. Dann müssten wir beide nicht verletzte Seelen kurieren, die Rechte von Hochbegabten auf Förderung und Anerkennung vertreten (denn die hätten sie automatisch genau so wie jeder andere) und auch nicht in Ordnung bringen, was andere oder unsere Coachees selbst beschädigt haben.

Dazu, liebe Lilli, sind wir frei! Wir dürfen und sollen (und wir beide wollen) auch jeden Menschen so akzeptieren, wie er/sie ist. Auch wenn unsere Sozialisation uns immer wieder als Tatsache weismachen will, was nur ein theoretisches (un-)moralisches Konstrukt ist: „Alle Menschen sind gleich“! Nein, das sind sie nicht! Aber sie sind gleich viel wert! Und kein Mensch sollte den anderen bewerten, weil er sich damit über den anderen stellt. Was wir bewerten und „nach unserem Bilde“ gestalten sollen und dürfen, ist unser eigenes Leben – nicht das Leben der Anderen. Und ich stimme Dir zu: Wer frei sein will, muss auch mutig sein. Bloß gut, dass wir mit dieser Meinung nicht alleine sind. Und dass es so schöne Musik, Bilder und Geschichten gibt, um den Menschen diesen Mut immer wieder zu stärken.(4)

Denn diese Freiheit ist von keinem politischen System, von keinem Schulabschluss oder Kommissionsbeschluss abhängig: Den anderen ehrlich zu achten und zu respektieren können wir beschließen, ohne eine Erlaubnis zu haben.

Aber wie schnell sind wir dabei, Bedingungen und Forderungen aufzustellen, die der/die andere gefälligst erst mal zu erfüllen hat – ehe er/sie Anspruch auf unsere Achtung und unseren Respekt erheben kann! Und wie viele Regeln muss er/sie einhalten, damit wir unsere Achtung oder unseren Respekt nicht entziehen?

Mir ist zufällig genau an diesem Wochenende ein schöner Schnappschuss dazu  gelungen: Ich war beruflich mal wieder in Leipzig. Dort ist mitten im Stadtzentrum an einem sehr geschichtsträchtigen Ort gegenüber der Leipziger Oper, neben dem Gewandhaus und dem mdr-Rundfunkhochaus (ein ehemaliges Universitätsgebäude, früher mal der „Weisheitszahn“ genannt) auch der Mendebrunnen(5) (auch so eine Verleumdungslegende) und davor ein sichtbares Zeichen heutigen Kleingeistes anzutreffen, siehe unten rechts. (6)

Und gleich daneben, spaßiger weise durch eine grüne Ampel zum Betreten freigegeben, als Mahnung und Einladung zugleich eine Wiedererneuerung der unter Walter Ulbricht abgerissenen Paulinerkirche (7).  So zeigt Leipzig auch in seinen Bauten, wie nahe Freiheit und Begrenzung zusammen liegen, wenn Menschen die Menschen regieren. Und wie die Geschichte von Menschen gemacht ist …

Deshalb lass uns immer wieder darauf verweisen, dass auch Hochbegabte in erster Linie „normale“ besondere Menschen sind. Und lass unsere Coachees verstehen, dass die Besonderheit der Hochbegabung ihnen genau so viel Akzeptanz und Respekt einbringt, wie sie anderen Menschen für deren Besonderheiten entgegenbringen. Denn nur so können wir aus dem ewigen Kreislauf der gegenseitigen Unfreiheit herausfinden. Und nur so kommen wir zu wirklicher Zuwendung und Anerkennung.

Liebe Lilli, der Winter macht gerade mal eine kleine Pause und es gibt auch in Berlin ein paar Sonnenstrahlen. Das macht Hoffnung auf baldigen Frühling und
sofort denke ich an „unseren“ Goethe „Vom Eise befreit …“
Mögen auch Herzen und Gedanken immer freier werden.
oto
Ich grüße Dich von Herzen
Alles Gute, sei umarmt
Deine Karin


Foto 1



Foto 2


1 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, hrsg. v. W.
  Weischedel, Bd. IV, Darmstadt 1983, S. 18 f
3 In Deutschland entsprechen die 2% der Bevölkerung, die einen IQ von 130 und mehr haben,  etwa 1,6 Mio. Menschen – und das ist nur die willkürlich festgesetzte Definition von   
  Hochbegabungsnachweis im Intelligenztest.
4 Nena: Du bist gut http://www.nena.de/news/2316
  Marius Müller Westernhagen: Freiheit http://www.youtube.com/watch?v=queDnG9ZeNk
5 http://de.wikipedia.org/wiki/Brunnen_in_Leipzig#Mendebrunnen 
6 S. Foto 1 Zwischen Kultur, Religion, Wissenschaft und Geschichte ist Radfahren verboten!
7 S. Foto 2 In Memoriam Paulinerkirche