Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 29. September 2013

Ein Hauch von Glück?

Liebe Karin,

ich bin begeistert. Absolut treffend. Ich liebe Dein Akronym ANNA.

Du hast es tatsächlich gemacht. Ich meine das Coaching mit ANNA. Das finde ich ganz grossartig! Tapfer! Und mutig! 

Wir erleben ja immer wieder, dass Menschen zu uns kommen, die ihr Leben ändern wollen. Frauen und Männer mit viel Schmerz, Wut und Un-Glück. Oft stehen sie mit einem bunten Strauss von Wünschen, Problemen und Zielen vor der Tür. Wir sortieren dann, wo wir anfangen können. Und dann stehen wir mitten in dieser Herausforderung mit diesen bewundernswerten Menschen, die den Mut und Willen haben, ihr Leben zum Besseren zu wenden.

Bemerkenswert, wie Du sie wieder und wieder mit offenen Armen liebevoll empfängst, sie gütig und mit gelebter Menschlichkeit begleitest. Von Koryphäen wie Dir können wir viel lernen!

Während meines Umzugs hier im Haus, sind mir alte Briefe und Faxe von Coachees in die Hände gefallen. Ich war sehr berührt, welche Entwicklungen sie durchlaufen haben. Und so klar wie selten habe ich gesehen: wer mutig ist und einen festen Willen hat – wer am Ball bleibt, der erlebt oft Veränderungen, die wir uns zuvor selten vorgestellt haben. Du wirst das kennen: Immer wieder kam eine „zufällige“ Wendung: eine unverhoffte Erbschaft, ein Jobangebot aus dem Land, in das man gerne auswandern wollte – auch endlich der erhoffte Kindersegen. Wer angefangen hat zu glauben, dass es ein natürliches Recht auf das individuelle Glück und die eigene Erfüllung gibt – der wird belohnt. Schon Mark Aurel (121-180), römischer Kaiser und Philosoph (Stoa), hatte das erkannt: „Blick in dein Inneres. Da ist die Quelle des Guten, die niemals aufhört zu sprudeln, wenn du nicht aufhörst zu graben.“ Er ergänzt: „Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.“

Und so bin ich davon überzeugt, dass es auch für ANNA durch Dich noch ein richtig gutes Leben geben wird!


Foto: Saskia-Marjanna Schulz


S Y R I E N: Danke, dass Du meinen Friedenswunsch so nachdrücklich mit mir teilst. Du kannst Dir sicher vorstellen, wie ich mich gefreut habe, dass Papst Franziskus zum Gebet für Syrien aufgerufen hat. Nicht erst zum Jahreswechsel – nein, mitten im Sommer flimmerte die Nachricht über die Ticker der Redaktionen: "Möge das Waffenrasseln aufhören. Gewalt und Krieg sind niemals der Weg des Friedens. Vergebung, Dialog, Versöhnung sind die Worte des Friedens - in der geliebten syrischen Nation, im Vorderen Orient, in der ganzen Welt." [1] Und 70.000 Gläubige standen auf dem Petersplatz und beteten! Wann hat es das zuletzt gegeben?

Gestern dann die gute Nachricht: „Einstimmiges Votum im UN-Sicherheitsrat. Syrien-Resolution verabschiedet[2]. Kein Frieden. Gewiss noch nicht. Aber die erste hoffnungsvolle Nachricht seit langer Zeit. Beten wir also weiter. Ich kann gar nicht anders als immer von Gott und vom Beten zu sprechen. Manchmal frage ich mich: Kommt es von mir – oder bin ich „erblich belastet“? Der Ahnenforscher Heinrich Altgeld/Altgelt, mein Pate, hat in unserer Familie 18 Pfarrer identifiziert.

Oder liegt es an meinem Vor-Bild Albert Einstein, der an meinem Schreibtisch milde lächelnd auf mich niederblickt? Einstein und Gott? Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt hatte am 24. Februar 1979 den Vortrag "Albert Einstein" an der Technischen Hochschule Zürich (ETH) gehalten und sich dabei über Einsteins Gottesbild ausgelassen: "Einstein pflegte so oft von Gott zu reden, dass ich beinahe vermute, er sei ein verkappter Theologe gewesen."

Lichtblicke.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

 

Dein chilenischer Freund hat mich sehr betroffen gemacht. Welche menschenunwürdigen Verletzungen, Grausamkeiten und Schmerzen er erleiden musste, kann ich nur erahnen. Ich kann verstehen, dass Du schreibst: „Er war zutiefst überzeugt gewesen, dass man Gewalt mit Gewalt beantworten muss, dass dies der einzige Weg zu einer besseren Welt ist und dass man dafür auch unter Einsatz des Lebens kämpfen muss. Deshalb hatte er gekämpft. Er zitierte häufig Rosa Luxemburgs „Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, was auch oft Bertold Brecht zugeschrieben wird[2].“

Ich frage mich jedoch: Muss ein Kampf immer mit Gewalt einhergehen? Erleben wir nicht aktuell einen Kampf der Weltgemeinschaft für einen Frieden in Syrien, ohne dass ein Schuss aus dem Revolver der US-Amerikaner gefallen ist? Säbelrasseln: ja. Schiffe, die sich bewegt haben: ja. Einen mitunter wütenden Obama: ja. Aber daran ist bis jetzt noch niemand gestorben. Andererseits sehen wir, dass nicht nur Kerry und Lawrow ernsthaft kämpfen – ohne Finger am Colt. Also Kampf – selbstredend. Körperliche Gewalt? Nein!

Auch wenn noch ganz, ganz, ganz viel im Argen liegt: Es gibt eine unüb-
ersehbare Tendenz der Menschen im Laufe der Jahrhunderte mit der eigenen Aggression, der eigenen Verachtung und dem eigenen Selbsthass souveräner umzugehen. „Hexen“ landen nicht mehr auf dem Scheiterhaufen – sondern in Talkshows. Männer duellieren sich nicht mehr mit Pistolen im Morgengrauen – sondern belassen es bei nächtlichen Autorennen auf dem grossen Parkplatz vor dem Supermarkt. Lehrer, die immer noch Kinder schlagen, sind schneller als sie denken können ungewollt am Pranger in der beliebten Zeitung mit den grossen Buchstaben.

Ja, ich weiss. Es gibt noch immer Formen der Sklaverei, Zwangsprostitution und Menschenhandel. Diese Grausamkeiten werden uns täglich vor Augen geführt: Im Fernsehen, im Internet, im Radio, in Printmedien und in unserer direkten Nachbarschaft.

Ja, es gibt sie noch: die Menschen, die in ihrer Entwicklung stecken geblieben sind in ihrem Ego, in ihrer Aggression – in ihrer Hilflosigkeit – in ihrer Qual, in der sie andere Menschen quälen „müssen“.

Aber auch: ja, es gibt unendlich viele Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzen. In der Politik, in den Religionen und in Nichtregierungsorganisationen. Es gibt einen Kampf für Menschen. Ohne Gewalt! Es gibt Hilfe[3]: Durch Spenden, durch Patenschaften, durch Sponsoring.

Ich wünsche mir, dass es auch für Deinen chilenischen Freund Hilfe gibt.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt[4]: "Gewaltlosigkeit bedeutet keineswegs Ablehnung jeglicher Konfrontation mit dem Bösen. Sie ist meiner Auffassung nach im Gegenteil eine Form eines sehr aktiven Kampfes - echter als der gewalttätige Gegenschlag, dessen Wesen im Grunde die Vermehrung der Boshaftigkeit ist." Ich bin sehr seiner Meinung.

Liebe Karin, ich bin noch immer auf Reisen und kann deshalb nur nachts schreiben. 

Ich umarme Dich und wünsche Dir friedliche Träume.
Alles Liebe, Deine Lilli


Foto: Saskia-Marjanna Schulz



[1] „Zehntausende bei Friedenswache“ http://www.tagesschau.de/ausland/papst-appell100.html
[3]  Menschenrechtsorganisationen:
Die Acid Survivors Foundation (ASF) ist eine Hilfsorganisation in Bangladesch, die sich für die Opfer von Säureattentaten einsetzt
Eine Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT)
Amnesty International
Anti-Slavery International - internationale Organisation gegen die Sklaverei
European Association for Human Rights - setzt sich weltweit gegen Menschenrechtsverletzungen mit dem Schwerpunkt Todesstrafe ein
Peace Brigades International (PBI) – pbi ist eine Menschenrechtsorganisation, die durch die Präsenz internationaler Freiwilligenteams in Konfliktgebieten MenschenrechtsverteidigerInnen (MRV) begleitet
Reporter ohne Grenzen - Weltweit aktiv für freie Medien
SOLWODI - Solidarität mit Frauen in Not - SOLWODI ist die Abkürzung von "SOLidarity with WOmen in DIstress" – Solidarität mit Frauen in Not.
SOVA Center for Information and Analysis
Terre des Femmes - Menschenrechte für die Frau e. V.
Terre des Hommes – Hilfe für Kinder in Not
diAk – für einen differenzierten Umgang mit dem Nahostkonflikt
[4] Gandhi, Mahatma: Ausgewählte Texte, Hrsg. Richard Attenborough, 1993. http://www.amazon.de/Ausgew%C3%A4hlte-Texte-Richard-Attenborough/dp/344206577


Dienstag, 17. September 2013

Die spät erkannten „HBs“ und das Beispiel von ANNA


Hallo liebe Lilli, ich begrüße Dich zurück aus dem Urlaub!

Wow, war das ein Sommer!!!

Als wir uns am 23. Juni 2013 in die Ferien verabschiedet haben, wünschtest Du mir ein Sommermärchen und Du hattest die „...verrückte Idee, sich im Sommer 2013 zu verabreden, um für Silvester 2013/14 zu visualisieren und zu beten: GLÜCK FÜR SYRIEN. Vielleicht gar über Twitter und Facebook?“
           
Oh Lilli, wusstest Du damals schon, wie bitter nötig das sein würde? Wie schrecklich sich die Dinge entwickeln würden und zu welchen wahnwitzigen Reaktionen alle Beteiligten bereit sein würden?

Den ganzen prächtigen Sommer lang wurde der Schrecken in Syrien über die Medien in Reality visualisiert: Bilder von Kämpfen – bei denen man schwer erkennen kann, wer auf welcher Seite ist. Ruinen, Einschläge von Granaten und Raketen, explodierende Fahrzeuge. Bilder von Toten und Verletzten, Kinder, Frauen, Alte – und dazwischen Männer mit wutverzerrten hassvollen Gesichtern, die blutige Rache schwören. Und dann das Giftgas. Und die Kampfansage auf dem G 20 Gipfel gegen .... wen und was? Da kann man kaum noch glauben, dass Beten hilft. Sicher: Schon das Beten allein wäre für alle Seiten besser als kämpfen, denn dann würden wenigstens die Waffen schweigen. Und nicht wenige Kämpfer treten ja in dieser Katastrophe mit dem festen Glauben an, ihrem Gott zu dienen – und ihrem Volk. Sie sind zutiefst überzeugt, das einzig Richtige zu tun. Und sie beten, ehe sie in den Kampf ziehen, sie beten während des Kampfes und danach. Sie beten für ihre Gefallenen. Und sie bitten Gott um seinen Segen und um den „Sieg“ – auf beiden Seiten. Aber hat nicht gerade diese Entschlossenheit zum Kampf, diese Bereitschaft das Leben der Anderen ebenso zu opfern wie das eigene, so gar nichts mit GLÜCK FÜR SYRIEN zu tun?

Ich bin überzeugt, dass viele Menschen auf der Welt lieber beten als kämpfen. Selbst die meisten überzeugten  Atheisten finden es wahrscheinlich sehr viel sinnvoller, zu beten als zu kämpfen. Und nach friedlichen Lösungen zu suchen, statt Konflikte mit politischer Erpressung, Waffengewalt oder Giftgas auszutragen.  


© bei Karin Rasmussen


Deshalb finde ich die Idee gar nicht so verrückt, im Falle von Konflikten die ganze Weltgemeinschaft – warum nicht auch über Facebook, Google, Twitter und alle anderen sozialen Medien – aufzurufen zum gemeinsamen Gebet und vor allem zur Visualisierung einer friedlichen Streitkultur! Nicht gleich paradiesische Eintracht – sondern die kluge, diplomatische und respektvolle Lösungssuche wäre schon ein riesiger Fortschritt. Und ökologischer Rückbau der Waffenarsenale! Denn schließlich lassen sich nicht nur Schwerter zu Pflugscharen machen, auch Panzer können zu Traktoren oder Baumaschinen werden und Raketen können Maschinen antreiben: Wie viel glücklicher könnte die Menschheit längst sein, wie viel gesünder, satter, sicherer und klüger, wenn all die Kampf-Energie und all das Kriegs-Wissen friedlich genutzt würde! Beten allein wird dazu freilich nicht ausreichen. Aber es könnte ein Anfang sein. Denn gerade im gemeinschaftlichen Gebet – und in dem Wissen, dass dies gemeinschaftlich weltweit geschieht – ist schon manche großartige Vision einer besseren Welt zur konkreten Visualisierung eines friedlichen Weges geworden. Martin Luther King‘s „I have a dream“ und Gandhi‘s „Ahimsa“[1] sind doch weltweit bekannte Beispiele des gewaltfreien Widerstandes. Und ja, auch die deutsche Einheit – die mit den Friedensgebeten begann und in höchstem Maße der Massenbewegung in Ostdeutschland unter dem Motto „Keine Gewalt!“ zu verdanken ist. In all diesen Fällen hat sich für unzählig viele Menschen das Gebet mit der Vision von friedlichen Lösungen verbunden. Es gibt sie, die Beispiele für den Erfolg. Warum also nicht auch um GLÜCK FÜR SYRIEN, für den ganzen Nahen Osten und für alle Konfliktregionen dieser Welt beten und visualisieren?

Ich erinnere mich an einen Freund aus Chile. Er war in seiner Jugend seit 1973 im Widerstand gegen das Pinochet-Regime illegal aktiv, wurde verfolgt und zum Tode verurteilt, aber er konnte fliehen. Nach vielen Jahren im Exil – von wo aus er, in zum Teil abenteuerlichen illegalen Aktionen,  den Kampf in seiner Heimat unterstützt hatte – erreichte ihn endlich die Nachricht vom Ende der Pinochet-Herrschaft. Er konnte zurückkehren zu seiner Familie, in seine Heimat und er war glücklich. Doch dann musste er leider feststellen, dass von all seinem heldenhaften Kampf niemand Notiz nehmen wollte. Er war kein Held. Er hatte viel riskiert, Gefahren und Entbehrungen auf sich genommen und nun sollte all das nicht zählen? Du kannst Dir vorstellen, wie unglücklich und verbittert er mit der Zeit geworden ist. Er war zutiefst überzeugt gewesen, dass man Gewalt mit Gewalt beantworten muss, dass dies der einzige Weg zu einer besseren Welt ist und dass man dafür auch unter Einsatz des Lebens kämpfen muss. Deshalb hatte er gekämpft. Er zitierte häufig Rosa Luxemburgs „Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, was auch oft Bertold Brecht zugeschrieben wird[2]. Und er war immer tief gekränkt, wenn jemand von anderen Formen des Kampfes sprach, von friedlichen Lösungen oder gewaltfreiem Widerstand. Das fand er lächerlich, albern, kindisch, naiv – die Zahl der abwertenden Umschreibungen, die ihm sogar in einer fremden Sprache einfielen, war beeindruckend. Sein Zorn war das auch.

Inzwischen hat er eingesehen, dass es viele Formen und Möglichkeiten des Widerstandes gibt. Aber noch immer hält er es für zwingend notwendig, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Und er ist enttäuscht, dass scheinbar immer weniger junge Menschen bereit sind, für ihre Ideale zur Waffe zu greifen. Er findet, dass Opfer gerechtfertigt sind. Denn die Gegenseite hat es „verdient“. Er schlägt sich in jedem heißen Konflikt auf die Seite derjenigen Kämpfer, die seiner Meinung nach die besseren Ideale haben. Und er bricht immer noch jede Diskussion darüber ab, dass ja beide Seiten ihre Ideale für die besseren halten. Was er vom Beten hält, kannst Du Dir sicherlich denken. Er ist mein Freund, nicht deswegen, sondern trotzdem. Ich werde nicht aufhören, ihn nach anderen Wegen zu fragen. Irgendwann werde ich vielleicht verstehen können, warum er unbedingt „kämpfen“ wollte. Ob es Verzweiflung war oder irregeleiteter Heldenmut, Ungeduld oder letzte Entschlossenheit oder vielleicht sogar eine innere Freude an der ultimativen Auseinandersetzung? Und ob er wirklich glaubt, dass es eine Welt ohne Krieg niemals geben wird, weil der Mensch nicht zum Frieden geboren ist. Ich glaube, er wird mich davon nicht überzeugen können. Ich weiß, es gibt mehr als nur einen Weg zum Glück.



© bei Karin Rasmussen


Gerade heute wo ich Dir schreibe (07.09.2013), sind allein in Berlin wieder tausende Menschen auf der Straße gewesen, um friedlich zu demonstrieren. Liebe Lilli, ich sehe Dich in Gedanken an Deinem PC sitzen und als Redakteurin für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) die Meldungen für den „Informationsdienst Entwicklungspolitik“  schreiben.[3] Hier sind ein paar Meldungen, die bestimmt nicht so schnell in Vergessenheit geraten werden: „Berlin (dpa) – Mehrere tausend Menschen haben in Berlin unter dem Motto ‚Freiheit statt Angst‘ gegen staatliche Überwachung protestiert. Mit Schildern und Transparenten wie ‚Interessante Menschen haben Geheimnisse‘ forderten die Demonstranten am Samstag ein Ende staatlicher Überwachungsprogramme.“[4]

„Rund 2000 Menschen haben am Samstag vor dem Brandenburger Tor in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen und faire Renten demonstriert. Aufgerufen hatte die Gewerkschaft IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. Die Gewerkschafter fordern unter anderem einen Mindestlohn von 8,50 Euro, weniger Leiharbeit und höhere Renten für ihre Branche.“[5]

„Gegner des geplanten Hauptstadtflughafens haben am Samstag eine Menschenkette um das Bundeskanzleramt in Berlin gebildet. Damit wollten sie gegen Fluglärm demonstrieren.“[6]

Wie werden wohl solche Meldungen im Ausland gesehen? Werden sie überhaupt wahrgenommen? Es wäre so wunderbar, wenn dies als Beispiel wirken könnte! Sicher, hier geht es um vergleichsweise „kleine“ Wünsche. Aber es geht auch schon um die Erhaltung demokratischer Grundrechte indem man sie nutzt, weil man sie hat. Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Schutz der persönlichen Datenhoheit, Respektierung der Privatsphäre und auch die Fürsorgepflicht des Staates werden zwar  friedlich, aber nicht ohne Nachdruck eingefordert. Du hast also völlig Recht, wenn Du schreibst: „Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Zusammenhalt, Dialog und Wahrheit sind Themen, denen sich die Menschen nach meiner Beobachtung immer mehr verpflichtet fühlen.“ Das Bewusstsein, dass in dieser globalen Welt keiner mehr abseits steht und nicht betroffen ist, pflanzt sich zum Glück mit rasender Geschwindigkeit über social media fort. Danke, Danke, Danke liebe Lilli, für die Beispiele von dem Pianisten Davide Martello und dem türkischen Choreografen Erdem Gündüz.  Dass vor allem Kultur und Humor viel schneller und intensiver wirken als martialische Kampf-Aufrufe stimmt mich hoffnungsvoll: Nicht nur der Papst wird also zu Silvester die Menschheit zum gemeinsamen Gebet auffordern und seinen Segen „Orbi et Urbi“ sprechen. Es werden Milliarden sein, die nicht nur für sich selbst sondern auch für die ganze Erde um Glück und Frieden beten. Und viele unter ihnen werden Visualisieren, wie sie sich den friedlichen Weg dahin vorstellen. Unsere Leser – ob hochbegabt oder nicht –  sind sicher dabei! Dein Hinweis auf Erika Schuchardt[7],  ihre Studie[8]und die ‚Krisenspirale‘ hat bestimmt einige zum Nachdenken darüber angeregt, wie man mehr Glück auch in den Krisengebieten  und in den großen Konflikten unserer Zeit erreichen kann.

Ja, natürlich – das mit dem Glück ist so eine Sache. Tatsächlich wünscht es sich wohl jeder, aber es versteht auch jeder etwas anderes darunter. Für manchen reicht es schon, wenn er unerfüllte Wünsche verspürt. Dann ist er unglücklich und glaubt, mit der Erfüllung dieser Wünsche glücklicher zu werden. Andere leiden echte Not oder tiefes Leid – und das größte Glück wäre, wenn dies einfach ein Ende hätte. Diese Wünsche sind wesentlich bescheidener. Und wie Du schreibst, werden tatsächlich „Menschen, die eine Krise erleben und durchleiden (Verlust des Arbeitsplatzes, Geburt eines behinderten Kindes, Tod eines geliebten Menschen,  Folgen von Naturkatastrophen, Flucht u.a.m.) nicht nur gestärkt daraus hervorkommen, sondern diese Menschen haben dann auch die Stärke, anderen die Hand zu reichen und ihnen zu helfen.“

Irgendwie werden wir wohl alle von dem Wunsch nach Glück getrieben, er ist ein starker Motivator. Die meisten von uns wollen sogar nicht nur selbst glücklich sein, sondern auch andere glücklich machen. Und da entstehen dann gleich wieder neue Konflikte, weil andere auf andere Art glücklich sein wollen als wir uns das denken. Deshalb sind die von Dir erwähnten Projekte in der Glücksforschung nicht nur spannend, sie sind geradezu entscheidend für Politik, Friedens- und Konfliktforschung. Und was mich besonders freut: der „Homo oeconomicus“, der sein Glück angeblich allein in materiellem Zugewinn findet, hat endlich ein paar Schrammen bekommen. Allerdings scheint mir, dass gerade diese Vorstellung von ständiger Profitmaximierung als dem Königsweg zum Glück sich auf Chefsesseln und in höchsten Politikerkreisen besonders hartnäckig hält. Dabei ist schon seit Jahrtausenden klar: Glück ist zunächst und vor allem die Freiheit von Leid und Mangel, und erst darauf aufbauend bietet das „gute Leben“ uns Glück.[9]




© bei Karin Rasmussen


Wenn ich bei dem Thema Glück an unsere Leser – und dabei besonders an einige sich unglücklich fühlende Hochbegabte -  denke, dann halte ich es gern mit Epikur:  „Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, dann füge nichts seinem Reichtum hinzu, sondern nimm ihm einige von seinen Wünschen.“[10]

Und dabei fällt mir ANNA ein. Du erinnerst Dich? Ach so: hol Dir erst mal einen Kaffee oder Tee, denn jetzt kommt ein spannender Bericht. Alles klar?

Also: eigentlich kannst Du noch nicht wissen, wen ich mit ANNA meine. Denn ANNA ist ein
Synonym für Alle No Named Anderen. Dahinter verbirgt sich aber ein realer Mensch: Die Frau, deren Hilferuf uns nach unserem letzten Blogbeitrag vor der Sommerpause erreichte und die uns gestattet hat, ihr Beispiel für unsere anderen Leser zu beschreiben. Natürlich möchte sie nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden und das respektieren wir selbstverständlich, deshalb nenne ich sie jetzt ANNA.

ANNA hatte gerade erst erfahren, dass sie hochbegabt ist. Leider- wie sie schrieb. Denn ANNA ist nicht mehr ganz jung. Sie hat schon eine ganze Menge Lebenserfahrung, mehrere berufliche Etappen und ziemlich viele negative Erfahrungen hinter sich.
Nachdem ich mit ihr Kontakt aufgenommen und sie gefragt hatte, welches ihrer Probleme sie im Coaching bearbeiten möchte, antwortete sie mir:

Während der letzten Tage habe ich ernsthaft nachgedacht, doch es scheint dass ich immer wieder gegen eine Mauer stoße, von woher die Gedankengänge nicht weitergehen wollen. Es gibt auch keine Gefühle dazu.  Ich habe keine Ahnung in welche Richtung ich gehen soll, will oder wünsche. Es gibt zu viele Richtungen.

Es waren auch viele wiederstrebende Gefühle als ich das Testresultat bekam, Freude, Triumpf, Überraschung, Erleichterung, das Gefühl ich habe eine Diagnose bekommen, eine Last von Verantwortung auf meinen Schultern. Reaktionen und Gefühle sowohl von meiner Erziehung, von der Religion, von meiner Umgebung ....so viele Gefühle...

ANNA hatte also doch Gefühle – nur nicht für ihre Zukunft, sondern nach dem Testresultat zunächst vor allem für ihre Vergangenheit. Und das waren überwiegend keine guten Gefühle. Sie berichtete von Dauerkritik, Zurückweisung, ja sogar Schlägen. Schon als Kind hatte man ihr das Gefühl gegeben, nicht gewollt, nicht „in Ordnung“ zu sein. Wie viele Erwachsene kennen das? Zu der Generation von ANNA gehören sicher viele, in deren Jugend Schläge einfach zur Erziehung dazu gehörten, etwas „Normales“ waren. Das war also keine glückliche Kindheit, denn sie war überhaupt nicht frei von Leid. Umso schlimmer, wenn Strafen, Schläge und Ablehnung auch noch unverständlicherweise erfolgten, in höchstem Maße ungerecht (weil durch kein erkennbares Fehlverhalten ausgelöst) waren.




© bei Karin Rasmussen


Diese Kindheit konnte gar nicht auf ein „gutes Leben“ vorbereiten. Und so hatte ANNA auch nur eine Chance, sich ruhig und sicher zu fühlen: sie ergriff die Flucht vor ihren Nächsten. Mancher flüchtet nach innen, wird schweigsam und ängstlich, traut sich nichts und traut sich vor allem nichts zu. Andere flüchten nach außen, wollen einfach nur weg und das möglichst schnell und weit. ANNA tat beides: Wann immer sie konnte und durfte, war sie als Kind im Wald, der verbarg und beschützte sie. Und sobald sie alt genug war, verließ sie ihr Elternhaus für immer. Aber bis dahin war sie schon so eingeschüchtert, so selbstunsicher, dass ihr einziger Wunsch „weg von hier“ ohne Ziel war. Seitdem kämpft sie sich durchs Leben mit dem Versuch, möglichst wenig aufzufallen. Sie weiß bis heute nicht genau, was sie sich selbst zutrauen kann. Sie arbeitet härter und länger als andere, um nicht kritisiert zu werden. Sie geht bis an die Leistungsgrenze und darüber hinaus – und ist doch niemals sicher, das Richtige zu tun.

Liebe Lilli, Du kennst von Deinen Coachees ähnliche Schicksale. Es ist kein Krieg und keine Hungersnot, keine Naturkatastrophe und keine schwere Krankheit. Und doch ist es so leidvoll, ungeheuer schmerzhaft, voller Verzweiflung. ANNA will nun endlich, so sagt sie, ihr Leben selbst bestimmen. Nachdem sie weiß, dass sie nicht „zu dumm“, nicht „einfach unfähig“, sondern im Gegenteil sogar überdurchschnittlich intelligent ist. Nur weiß sie vorläufig noch nicht, wie das aussehen könnte. Und sie weiß auch nicht, ob sie es schafft. Aber, da bin ich ganz sicher, in ihr steckt eine große Kraft. Sie kann nicht nur schneller und komplexer denken als andere, sie ist durch ihre bösen Erfahrungen auch ziemlich widerstandsfähig gegen Schwierigkeiten geworden.
Jetzt arbeiten wir gemeinsam daran, ihre ureigenen Potenziale zu erkennen. Sie hat schon auf sehr vielen Gebieten bewiesen, dass sie mehr als andere kann. Und sie hat auch bewiesen, dass sie mehr leistet als andere. Sie hat immer getan, was andere für notwendig hielten. Nur Spaß hat es ihr selten gemacht. Vor lauter Anstrengung und Pflichterfüllung hat sie danach auch nicht gefragt. Das tun wir jetzt.

Denn für ANNAs Glück ist es ganz wichtig, dass sie Freude empfindet bei dem was sie tut. Und dass sie erlebt, wie andere sich daran freuen, dass gerade sie gerade dies auf genau ihre Art tut. Ich werde dabei besonders darauf achten müssen, dass ANNA nicht nach ihrem alten Muster zu viel von sich selbst verlangt. Ganz im Sinne von Epikur wird sie lernen müssen, ihren Wunsch nach der absoluten Bestleistung zu kontrollieren. Vor allem dort, wo es gar nicht um ihre eigenen Leistungsansprüche geht, sondern wo sie wieder mal jemand anderen beeindrucken will, damit dieser sie nicht kritisiert. Ich werde ihr helfen zu erkennen, wie reich sie durch sich selber ist – und wie wertvoll. Sie wird zuallererst daran arbeiten, ihrem inneren Frieden und ihrer persönlichen Freiheit näher zu kommen. Und dabei wird sie dem Wunsch zu widerstehen lernen, nun IMMER ALLES richtig zu machen.



© bei Karin Rasmussen


Liebe Lilli, Du schreibst: „Auch wenn einzelne Menschen, Völker und Kulturen etwas anderes unter Glück verstehen als andere – so gibt es doch Gemeinsamkeiten: Glück muss m.E. assistiert werden von Frieden und Freiheit. Oder kannst Du Dir ein wirkliches Glück in Unfreiheit und im Unfrieden vorstellen?“ Nein – das kann ich nicht! Im Gegenteil: Ich bin wie Du überzeugt, dass Frieden und Freiheit sogar wichtiger sind als alles andere. Und dass es für das Glück des Einzelnen ungeheuer wichtig ist, die eigene Freiheit zu kennen und zu schützen. Gewaltfrei, aber hartnäckig. Deshalb meine ich, zum Glück gehört auch die Freiheit, Nein zu sagen. Und das heißt gleichzeitig, auch ein „Nein“ von anderen ertragen zu lernen. Auch das gehört dazu, wenn wir den Weg zum Glück visualisieren: Den anderen so zu akzeptieren wie er ist. Wie seltsam und fremd er uns auch erscheinen mag – wir sehen in seinen Augen wahrscheinlich auch nicht „normaler“ aus! Und wenn wir darüber nicht glücklich sind, ist er es wahrscheinlich auch nicht! Wir sollten also nicht müde werden, den Menschen immer wieder zu sagen und zu zeigen:

·         Glück kann man lernen,
·         Glück kann man gemeinsam und voneinander lernen und lehren und
·         Glück kann und muss man immer wieder gemeinsam schaffen!

Denn Glück ist so eine empfindliche Sache, leicht zu zerstören und selten von Dauer. Es ist etwas, was sich ständig verändert und was nur durch Veränderung Bestand hat.
Lass uns also nicht nur bei ANNA dazu beitragen, dass die notwendigen Veränderungen in Richtung Glück führen!

Liebe Lilli, ich umarme Dich!
Und ich freue mich, dass wir jetzt wieder öfter voneinander hören/lesen können.

Möge es bald ein friedlicher (wenn auch stürmischer) Herbst werden


Deine Karin





[2] http://www.zitate-online.de/literaturzitate/allgemein/1085/wer-kaempft-kann-verlieren-wer-nicht-kaempft.html 
[7] Erika Schuchardt: Krisenspirale/ Krisen-Management-Interaktionsmodell
[8] Schuchardt, Erika: Warum gerade ich...? - Leben lernen in Krisen - Fazit aus Lebensgeschichten eines Jahrhunderts. (Kurzinhalt) http://www.prof-schuchardt.de/aktuelles/veroeffentlichungen/subpages_warum/kurzinhalt.htm 
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Gl%C3%BCcks 
[10] http://www.operone.de/spruch/epiku.php