Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 27. Oktober 2013

Wie ein schüchterner Hochbegabter eine Ehefrau gefunden hat

Schon mischt sich Rot in der Blätter Grün,
Reseden und Astern sind im Verblühn,
Die Trauben geschnitten, der Hafer gemäht,
Der Herbst ist da, das Jahr wird spät.

Und doch (ob Herbst auch) die Sonne glüht, –
Weg drum mit der Schwermut aus deinem Gemüt!
Banne die Sorge, genieße, was frommt,
Eh' Stille, Schnee und Winter kommt.

Theodor Fontane (1819 - 1898)


Liebe Karin,

ich bin total begeistert von Deinen Fotos[1] (Festival of Lights). Ich hatte von dem Festival gehört – konnte es mir jedoch nicht wirklich vorstellen.

Du sprichst mir aus der Seele, wenn Du schreibst: „Vielleicht sind es auch solche Bilder, die den Menschen immer wieder die Hoffnung erhalten und ihren Mut stärken: Es sind viele, die gemeinsam Freude haben. Und die Kreativen, die uns solche Erlebnisse erschaffen, können nur im Frieden wirken. Für derartige Aktionen sind Energie, Geld und Geist doch viel sinnvoller eingesetzt, als für Krieg und Streit.“

Und dann kommst Du mit diesen wunderbaren Bildern um die Ecke – als sei es das Natürlichste der Welt. Freude! Danke! Da capo!

Ich gratuliere Dir und ANNA zu den ersten Erfolgen: „Zum Glück hat ANNA jetzt schon neue Freunde gefunden und auch erste Erfolge in ihrer neuen Arbeit.“ Das freut mich sehr. ANNA ist bei Dir ganz einfach in wirklich sehr guten Händen.

ABER.

Ja, liebe Karin, Du hast es mal wieder genau auf den Punkt gebracht: Das grosse ABER.  Ist ja auch verständlich: Wenn wir so ohne weiteres zu unseren Zielen kommen könnten – dann hätten wir sie ja längst alleine erreicht. Wir sprechen deshalb mit anderen Menschen über unsere Themen, weil wir alleine nicht (so richtig) weiterkommen. Wir kennen doch bereits unsere Sackgasse, in die wir gelaufen sind.

Aber wir erkennen (noch) nicht, welche Wege nach draussen führen. Zu unserem Ziel. Ob zu dem richtigen Partner – der richtigen Partnerin. Ob zu der für uns richtigen Aufgabe, dem Job, der Arbeit, bei der wir uns erfüllt fühlen. Oder zu der für uns angemessenen Art mit uns und unserem Leben umzugehen. Wir sehen das Ufer auf der anderen Seite – wissen aber nicht wie wir dahin kommen.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Warum ist das so? Nun, Du weisst es natürlich: Weil wir ein bestimmtes Repertoire an Lösungen gelernt und diese bisher mit mehr oder weniger Erfolg praktiziert haben. Wenn sich die Aufgaben ändern und/oder unsere Rahmenbedingungen, Erfahrungen, Einstellungen – dann geht das, was gestern noch möglich war – nicht mehr … so richtig.

Neue Ansätze sind (noch) nicht da. Woher auch? Die haben wir ja bisher nicht gebraucht. So sind wir bald ratlos. Nach einer gewissen Zeit möglicherweise verzweifelt. Wir zweifeln an uns. An unseren Handlungen, Kompetenzen und Begabungen. Wir suchen und finden Schuldige – aber wir kommen nicht weiter. Wir kommen uns vor, wie der Hamster im Rad. Wir arbeiten, schuften – Stress! – aber wir bleiben auf der Stelle. Hilfe suchen? Auf die Idee kommen wir doch gar nicht. Was sollen denn die anderen denken? Wir sind ja schliesslich hochbegabt. Wenn wir das nicht schaffen – wer denn?

Dabei ist es – zumindest theoretisch – ganz einfach: Wir müssen unseren Geist daran gewöhnen, dass wir neue Wege brauchen. Wir brauchen Alternativen und damit neue Einsichten. Was tun? Wir dürfen unsere Selbstvorwürfe gemeinsam mit unserem Selbstmitleid und unserer Bockigkeit in die Kur schicken. Und uns auf uns selbst besinnen. Wir geben grünes Licht für Weitblick, Spürsinn, Esprit.

Wir dürfen uns fragen, was wir wollen. Was wir uns wünschen. Bei was wir uns wohl fühlen. Echt fühlen. Authentisch fühlen. Wenn wir es uns erlaubt haben, unsere Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen – dann kann auch wieder die Leidenschaft für unser Leben in uns erwachen. Ich denke, ANNA hat bereits diese Entwicklung erreicht. Und was machen wir nun mit dem ABER? Ich bin schon gespannt, was Du berichten wirst.

Bei Menschen, die ich kenne, konnte ich folgendes beobachten:
Wir beginnen mit einem Training, das unserer Denkweise hilft, die neuen Wege zum Ziel zu finden. Wir beginnen mit ganz einfachen Schritten.

Einer meiner Lehrer wusste da ein feines „Hausmittelchen“: Wir fangen an,  im normalen Alltag Alternativen zu wählen. Da, wo wir eine Wahl haben. Auch wenn sich das jetzt erst mal recht simpel anhört – „Alternativen im Alltag aktivieren“ – so ist es doch zumeist von Erfolg gekrönt. Denn wir brauchen fast alle eine bestimmte Zeit der Umgewöhnung, der Einstimmung auf das Neue.

Welchen Bereich wählen wir aus? Ganz einfach: das tägliche Leben. Wir motivieren unsere Denkkraft, etwas Neues zu suchen und zu finden. Denn, wenn wir das oft genug mit unserem angeborenen Einfallsreichtum gemacht haben, macht unser Verstand das bald von ganz alleine nach. Und findet so genau das, was wir uns gewünscht haben.

Erste Fortschritte zeigten sich bei Menschen, die ich kenne, indem sie alternative Wege gegangen oder gefahren sind: einfach auf dem Weg zur Schule, zur Uni, zur Arbeit. Anstatt die klassischen „Trampelpfade“ zu benutzen, gab es neue Wege/Strassen/Autobahnen. Vielleicht dauerte es länger bis wir unser Ziel erreichten, vielleicht waren die Pfade weniger bequem oder komfortabel. Aber so ist das mit dem Training – wie auch sonst im Leben: von Nichts kommt Nichts. Wir dürfen schon Einsatz zeigen – denn wir wollen ja auch belohnt werden.

Es geht noch weiter: wir dürfen uns überlegen, wie wir weitere Neuerungen in unser Leben bringen: Statt immer Apfeltee zu trinken, mal Chrysanthemen Tee ausprobieren. Oder Ginseng Tee.  Oder Verveine Tee.  Beim Sonntagsspaziergang zum alten Forsthaus – mal überlegen, ob es nicht ganz hübsch wäre, auch an den kleinen Weiher zu gehen. Da, wo Kinder oft die Enten füttern. Und dann ganz anders den Heimweg antreten. Kühne Menschen finden ein neues Hobby,  einen neuen Ferienort oder outen sich mit einer unbekannten Begabung.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Diese Methode habe ich mit einem Manager aus München praktiziert – nennen wir ihn Florian. Flo wollte meine Hilfe – ohne sagen zu können, was er  wirklich wollte. Hochbegabt, mit zwei Studienabschlüssen sowie einem interessanten, sicheren und gut dotierten Job – war er nicht in der Lage, sich seiner Unzufriedenheit klar zu werden. Nach der beschriebenen Aufwärmphase dämmerte es ihm: er wollte eine Ehe-Frau. Jetzt kam das ABER: Florian schämte sich, auf dem „natürlichen Weg“ (im Beruf, beim Sport, im Club) keine Frau gefunden zu haben. Und blieb in seiner Scham
erst einmal stecken.

Was würde es da bringen, ihm eine seriöse Heiratsvermittlerin zu empfehlen?  Flo hatte nicht nur Scheu dort alleine hinzugehen – er hatte auch Angst davor, mit ihr zu reden.

Wir wussten beide: so konnte er nicht die Frau finden, die sich ihn als Ehemann wünschen würde. So gab es erst einmal Gespräche. Viele Gespräche. Und eine Methode, die mir beim Fitness/Sport sehr geholfen hatte und immer noch hilft. Ich habe viele Sportarten ausprobiert: Fussball, Handball, Reiten, Segeln, Walking, Jogging, Ski, Schlittschuh, Tennis, Golf, Fechten … immer wieder kam ich an einen Punkt, wo mir ein Lehrer, Trainer oder ein anderer Sportler mit der Frage begegnete: „Sind Sie nicht die Schwester von …?“ Und dann wurde erst mal mein Bruder lang und breit gelobt. Wie beeindruckend, enthusiastisch und ausgezeichnet  mein Bruder Sport macht. Nicht selten mit dem mitleidigen Blick in meine Richtung: Bleiben SIE (!) doch besser bei Ihren Büchern!

OK, ich habe nicht den Ehrgeiz Sportpreise zu gewinnen – und in Olympia war ich aus historischen – nicht aus sportlichen Gründen. Ich wollte einfach Sport machen. Ohne WENN und ABER. Aber irgendwie wollte mir das nicht so recht gelingen.

Bis ich die Fitness-Cassetten  von Antony Fedrigotti[2] entdeckte. Es dauerte einige Monate bis ich die Veränderungen erkannte: Zuerst machte mir Walking immer mehr Spass. Ich kaufte meinen ersten Trainingsanzug. Und einen zweiten. Ich arbeitete schliesslich sogar mit einem Sportlehrer (Deutscher Meister) zusammen. Während ich in Seminaren mit „meinen Manager/innen“ über Kommunikation diskutierte – wurde in den Pausen Sport gemacht.

Heute bin ich öfter im Fitness-Studio als mein Bruder auf dem Tennisplatz. Und die Sportlehrer, Trainer und Sportsfreunde sind stumm geworden!

Auch für Flo war die Methode von Antony Fedrigotti für diese Situation die Richtige. Allerdings nicht als Fitness-Cassette, sondern in der moderneren Variante als CD und MP3: Partnerschaftsbeziehung[3] und „Mutig sein - Stark und kraftvoll durch das Leben gehen“[4].

Nach einigen Wochen war Florian dann soweit: Wir gingen gemeinsam zur Heiratsvermittlung. Erstaunlich klar und sicher konnte Floh seine Wünsche äussern. Angstfrei. Er bekam Adressen von interessierten Frauen – und ich bekam hin und wieder eine sms mit dem „Stand der Dinge“.

Pause. Eine Zeitlang hörte ich nichts mehr aus Bayern. Doch dann kam die frohe Botschaft: Es ist Elena[5]: Ich habe die richtige Frau gefunden! Nach einer Weile besuchte ich die beiden in ihrem neuen Haus in München. Und war begeistert. Hier hatten sich zwei gefunden, die wirklich für einander bestimmt waren. Und nicht nur das: zuerst einmal hat sich Florian selber gefunden.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Daran denke ich manchmal, wenn ich ein ABER höre.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus. Manchmal sind Hochbegabte sehr langsam. Dann wieder sehr schnell. Beides ist richtig, wenn wir wissen, wann wir schnell – und wann wir langsam sein dürfen. Dabei muss ich an das Buch eines Psychologen denken: Daniel Kahneman[6] - der Nobelpreisträger[7] -  „Thinking, Fast and Slow. Schnelles Denken, Langsames Denken.“[8] Von ihm lerne ich, auch neu zu denken.

Wie das geht, zeigt Kahneman u.a. an dem Beispiel eines Aktienkaufs. Er erzählt: „Vor vielen Jahren besuchte ich den Leiter der Vermögensverwaltung eines grossen Finanzdienstleisters, der mir sagte, er habe gerade einige zehn Millionen Dollar in Aktien der Ford Motor Company investiert. Als ich ihn fragte, wie er zu diesem Entschluss gelangt sei, antwortete er, er sei kürzlich auf einer Automesse gewesen, und das, was er gesehen habe, habe ihn beeindruckt. (…) Er liess keinen Zweifel daran, dass er seinem Bauchgefühl vertraute, und war zufrieden mit sich und mit seiner Entscheidung. Ich fand es bemerkenswert, dass er anscheinend die eine Frage, die ein Ökonom als relevant erachten würde, nicht in Betracht gezogen hat: Sind Ford-Aktien gegenwärtig unterbewertet?“[9]

Kahneman erklärt das Verhalten des Vermögensverwalters wie folgt: „Die Frage, vor der der Manager stand (Soll ich in Ford-Aktien investieren?) war schwierig. Aber die Antwort auf eine leichtere und damit zusammenhängende Frage (Mag ich Autos von Ford?) fiel ihm spontan ein und bestimmte seine Entscheidung. Das ist das Wesen intuitiver Heuristiken: Wenn wir mit einer schwierigen Frage konfrontiert sind, beantworten wir stattdessen oftmals eine leichtere, ohne dass wir die Ersetzung bemerken.“[10]

Das gibt mir die Anregung, mich immer mal wieder zu fragen: welche schwierigen Fragen habe ich in der letzten Woche gehört – und wie habe ich mich entschieden?

Was wünsche ich Dir für diesen Herbst? Wir haben hier in den letzten Tagen immer wieder Sonne satt gehabt – und herrliche Farben, in denen sich das Licht spiegelt. Es war wunderbar.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

So wünsche ich Dir Sonne, Farben – und lebensfreudige Sonnenblumen.

Ich umarme Dich herzlich,
Deine Lilli



[1] Festival of Lights
[2] Antony Fedrigotti
[3] Partnerschaftsbeziehung
[4] Stark und kraftvoll durch das Leben gehen
[5] Aus Datenschutzgründen nenne ich sie Elena.
[6] Daniel Kahnemann
[7] The Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel 2002
[8] Daniel Kahnemann: Schnelles Denken, langsames Denken
[9] a.a.O. Seite 24
[10] a.a.O. Seite 25