Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 24. Juni 2012

Traum? Forschung!


Liebe Lilli,

danke für Deine wunderbare Antwort. Ja, ich fühle wie Du: Es gibt viele große Vorbilder, die scheinbar Unvorstellbares erreichbar gemacht haben. 

Fast immer, indem sie ihre Träume für viele vorstellbar erklärt und damit die „Kraft der Massen“ mobilisiert haben. Tatsächlich werden so auch Träume in manchmal zähem Ringen mit dem Gewohnten, Althergebrachten verwirklicht. Sie werden zu Zielen von sozialen, kulturellen, politischen Bewegungen. Und diese Ziele motivieren und verbinden. Nicht nur im Großen, oft auch in kleinen Alltäglichkeiten. 

Warum sollen nicht auch die Hochbegabten solche gemeinsamen Träume und Ziele haben? Es lohnt sich bestimmt, das genauer zu erforschen. Wir werden daran arbeiten! Und ich bin ziemlich sicher, dass dabei Träume und Ziele zum Wohle aller Menschen sichtbar werden, denn die „Träume“ einzelner machtbesessener Alleinherrscher – ob in der Politik oder in Unternehmen – werden nach meiner Erfahrung von hochintelligenten Menschen nicht geteilt. Im Gegenteil, sie werden kritisch hinterfragt und dann abgelehnt und bekämpft werden. Das gibt mir die Hoffnung, bei unserer Forschungsarbeit viele interessante Anregungen für die Gestaltung einer wirklich besseren Welt zu erhalten.

Du sagst mir Deine Ziele:
Die Hochbegabten wissen, dass sie hochbegabt sind.
Die Hochbegabten wertschätzen, dass sie hochbegabt sind.
Die Hochbegabten holen ihre Hochbegabung aus dem Versteck.
Die Hochbegabten leben ihre Hochbegabung.

Auch ich stelle mir gerne vor: Menschen können entspannt mit sich und anderen umgehen: mit der wertgeschätzten Individualität des jeweils anderen. Mit Talenten, Begabungen, Charakterstärken. Und – so möchte ich ergänzen – auch mit Schwächen oder vermeintlichen Defiziten. Aber wenn es doch mal Spannungen gibt (Du weißt ja: Widersprüche sind die Triebkraft des Fortschritts), dann können sie diese kooperativ und friedlich lösen. Welch uralte Vision!

Dein Zitat von Paulo Coelho aus seinem Buch ‚Der Dämon und Fräulein Prym‘ beschreibt die gegenwärtige Situation der meisten Menschen in Bezug auf Hochbegabung:


„Sie hatte herausgefunden, dass es zwei Dinge gibt, die einen Menschen daran hindern, seine Träume zu verwirklichen: der Glaube, sie seien ohnehin unerfüllbar, oder wenn diese durch eine unerwartete Drehung des Schicksalsrades plötzlich doch erfüllbar werden. In solchen Augenblicken bekommt man Angst vor einem Weg, von dem man nicht weiß, wohin er führt, vor einem Leben voller unbekannter Herausforderungen, davor, dass vertraute Dinge für immer verschwinden könnten.“

Ich hoffe sehr, wer sie hat,  überwindet die Angst vor der eigenen Größe. Frei nach Hermann Hesse meinst Du: Wenn wir wollen und uns zu uns bekennen, werden wir siegen. Nun – mit dem „Siegen“ habe ich ehrlich gesagt ein Problem. Denn das bedeutet in meinen Augen die Niederlage für andere. Und es setzt ein Feindbild voraus. Gewissermaßen als Rechtfertigung für einen solchen Sieg. Doch damit wäre die latent spürbare Feindseligkeit und Ablehnung gegenüber Hochbegabten ja erst recht legitim. Wollen wir das?

Wenn wir uns gegen Ungerechtigkeiten wehren, können wir die Verhältnisse ändern. In diesem Sinne kann ich Fortschritt erkennen – das wäre gewissermaßen ein Sieg über Unzulänglichkeiten der Kultur, der gesellschaftlichen Situation und des Umgangs miteinander. Ich bin überzeugt, das geht friedlich auf dem Wege der Erkenntnis! Und dazu tragen wir beide und zahlreiche Hochbegabte mit ihren Verbündeten bereits in vielfältiger Weise bei, z. B. in Veröffentlichungen, in Veranstaltungen von Vereinen (1), in Camps, Akademien (2) und Workshops, aber auch im Internet, in Blogs, bei Twitter und in Foren.

Saskia-Marjanna Schulz und Du riefen im Juni 2006 das Forum „Hochbegabung - Drama oder Erfolgsstory?“(3) ins Leben. In diesen Tagen im Juni 2012 sind es schon 12.500 Beiträge, bald werden es  3.000 Foristi sein, aus allen Kontinenten dieser Erde. In nur 6 Jahren hat sich die Zahl der Nutzer in diesem Multilog enorm vervielfacht – und deren kulturelle Vielfalt ist gewaltig.
Klar, Hochbegabung ist kein nationales Thema der Deutschen, es ist ein weltumspannendes Phänomen. Zum Glück! Dank Internet können immer mehr Interessenten erreicht werden, der Gedanken- und Ideenaustausch kann frei und schnell erfolgen (wenn auch noch nicht überall und für jeden) und dadurch wird jetzt sichtbar: Die Frage „Was wollen Menschen und wie kann man das erreichen?“ hat nicht nur Dein ganzes Leben begleitet. Schon unter Kindern wird darüber diskutiert. Welch positive Entwicklung! Lass uns das tiefer erforschen und erfragen.

Du meinst, um die Fragen „Was wollen Hochbegabte? Wo drückt der Schuh? Und wie stellen wir eine Situation her, von der diese Menschen träumen?“ angemessen beantworten zu können, werden wir weitere professionelle Hilfe brauchen. Ja, auch ich denke da an eine Universität und an die Zusammenarbeit mit einem privaten Forschungsinstitut.

Lass uns doch gleich diese Frage an unsere LeserInnen stellen: Wer können die möglichen Partner und Geldgeber sein? Staatliche Organisationen, europäische Einrichtungen, Stiftungen, Wirtschaftsunternehmen, Privatpersonen? Welche Interessen haben diese Personen und Institutionen, sich mit unseren Zielen auseinander zu setzen? Welche Eigeninteressen werden sie verfolgen? Inwieweit sind diese mit unseren kompatibel? Wo sind unsere Gemeinsamkeiten? Denn bestimmt treffen uns hier einige Hochbegabte, die an entsprechenden Einrichtungen tätig sind, Persönlichkeiten kennen und Empfehlungen für uns haben. Unsere LeserInnen können uns ihre Tipps ja problemlos über unsere Mailinglinks zusenden. Vielleicht finden sich sogar EnthusiastInnen, die an unserem Forschungsprojekt mitwirken möchten?

Wir werden natürlich auch selbst bei Partnern, Freunden und Verbündeten anfragen. Wir werden neue Kontakte suchen und finden. Wir werden also Gespräche führen, um das Forschungsbudget auf die Beine zu stellen. Und dann werden wir vielleicht unsere Studie mit einem Pilotprojekt „Forschungsdorf“ starten. Dort können wir sowohl mit Hochbegabten als auch mit Fachexperten in kurzer Zeit viel neues Wissen zusammentragen.

In der Folge – oder auch schon im ersten Workshop? – springen wir eventuell gedanklich ins Jahr 2022 und schauen auf die Eindrücke, die Frauen und Männer dann vom Thema Hochbegabung haben können. Werden sie auch dann noch Hochbegabt hören und Hochleistung denken?


Werden sie als „Leistung“ etwas anderes verstehen als heute? Wird auch dann noch Neid im Spiel sein, der für die Betroffenen wohl immer unangenehm ist? Wird man noch immer lieber verstecken, was einen außergewöhnlich macht, um nicht aufzufallen? Das ist wohl bei Reichen noch möglich – bei Hochbegabten schon komplizierter und bei Schönheiten eher unmöglich.


Unsere Forschung wird auch zeigen, ob es den eigentlich Außergewöhnlichen gefällt, bescheiden aufzutreten. Einfach weil sie sich wohl fühlen in Jeans, schwarzem Rolli und Turnschuhen, in der letzten Reihe und im Refugium ihres privaten Chatrooms. Und ob sich dahinter wirklich Bescheidenheit verbirgt oder eher Angst vor Ablehnung und seelischer Verletzung. Auch ich bin jetzt schon sehr gespannt, was unsere Studie dazu sagen wird.

Du meinst: Das klingt alles ganz schön verrückt mit diesem Traum und dieser Studie? Na klar, das ist ja gerade das Reizvolle! Und wir wissen beide aus Erfahrung, dass es klappen kann! Wir haben sicher jetzt schon Mitstreiter, die nur auf unseren Startschuss warten. Ich bin gespannt auf die Mails, die uns in den kommenden Tagen erreichen. Von wem und von wo kriegen wir die ersten Tipps, Anfragen, Vorschläge? Es wird vielleicht ganz anders laufen als bei Deiner 1000- Teilnehmer- Passantenbefragung in Köln mit 50 Managern, aber es wird gut laufen. Davon bin ich überzeugt. Und für die Präsentation der Ergebnisse danach wird es viele Interessenten geben.

Liebe Lilli, der Sommer ist da,  die Ideen sprudeln und es macht Spaß, mit immer neuen Verbündeten an der Verwirklichung dieser Träume zu arbeiten. Die Fußball-EM ist dabei eine inspirierende Kulisse. Vor allem freue ich mich immer wieder über den „RESPECT!“- Aufdruck auf den Ordnerwesten. Da hat einer, den wir gar nicht persönlich kennen, schon mal unseren Traum mitgeträumt – vielleicht ist es schon längst ein Menschheitstraum, der nur noch auf die Hochbegabten angewandt werden muss?

Ich wünsche Dir sonnige Tage, intensive Erholung und (wie mir auch) viele inspirierende Nachrichten von unseren LeserInnen

Sei herzlich gegrüßt
Deine Karin



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(1) http://www.mensa.de/aktivitaeten
(2) http://mind-akademie.de/index.php/ueberblick
(3) https://www.xing.com/net/hochbegabung