Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 14. April 2013

Das „Muster“ Bismarck?


Liebe Lilli, sei herzlich gegrüßt!

Du hast mir mit Deinen Ostergrüßen eine große Freude und viele Gedanken gebracht. Ich hatte gleich so viele Anregungen, dass die Pause in unserem Briefwechsel beinahe zwingend war.  

Und das schlechte Osterwetter bot ja auch genügend Gelegenheit zum stillen Verweilen zuhause. Doch nun will es endlich Frühling werden, die Osterfeiertage mit ihren vielen verschiedenen Höhepunkten sind vorbei, der neue Papst füllt nicht mehr jeden Tag die Titelseiten und die Eurokrise hat auch kaum noch Neuigkeitswert – dafür hat uns der Alltag wieder. Ran an die Arbeit:  wie versprochen setzten wir unseren Gedankenaustausch für unsere Leser fort.

Du erinnerst an Bismarck (1815-1898) und zeichnest in einem kurzen Bogen sein Leben: „Zuerst Hingabe an die Neigung. Dann erwachten Berufungen und Begabungen. Die Pflicht übernahm die Führung mit der Selbstdisziplin. Kriege und Siege. Schaffung des Deutschen Reiches. Ein leichter Weg für den klugen Kopf? Keineswegs. Es war ein täglicher Kampf. Bismarcks Selbsterkenntnis: „Ich bin stark (…) Aber schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle.“ (1)

Nun ist gerade Margaret Thatchers Tod für mich ein Anlass über die Frage nachzudenken, ob Bismarcks Leben und Haltung nicht so etwas wie ein Muster enthält? Ob nicht vielleicht die „Eiserne Lady“ so genannt wurde, weil sie die weibliche Variante dieses Musters war? (2)

Beide haben politische Geschichte geschrieben, beide sind historische Persönlichkeiten und werden kaum in ihrer Individualität wahrgenommen als „Mensch wie Du und ich“. Beide hatten als einzelne Person überragenden Einfluss auf Regierungen, Staaten, Gesellschaften.

Und doch: Bis hin zum Gesichtsausdruck scheint es menschliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden zu geben. Und auch wenn ich mir der großen politischen und historischen Unterschiede (3) ihrer beider Biografien bewusst bin: Sie wirken auf mich wie aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Und dazu gehört auch, dass sie kaum - wenn überhaupt dann nur im engsten, vertrauten Kreise und sehr allgemein -  über ihre inneren Zweifel oder Qualen gesprochen haben.

Brauchten sie keine „Hilfe“? Probleme, Leid und Schmerz hatten sie doch auch? Oder hatten sie ganz selbstverständlich immer Helfer um sich, die ihnen die Kraft und auch mal den entscheidenden Rat zur Überwindung ihrer schweren Stunden geben konnten? Aus Bismarcks „… aber schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle…“ (4) geht ja schon hervor, dass er das Schwinden seiner Kräfte wohl bemerkte. Und dass er es schlecht ertragen konnte.  

Über beide Persönlichkeiten gingen und gehen auch heute noch die Meinungen quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten weit auseinander. (5)  Das wussten sie, sie wurden ja ständig damit konfrontiert. Warum schraken sie nicht zurück? Warum gaben sie nicht auf, um endlich den ständigen Vorwürfen zu entrinnen? Oft war ja schon nicht mehr nur Kritik im Spiel, häufig war es auch Hass und manchmal Schlimmeres. Wie trist und sinnlos muss ihnen ihr anstrengendes, weil hochdiszipliniertes Arbeitsleben an manchen Tagen erschienen sein. Denn die von ihnen gewollten Erfolge waren oft noch nicht mal im Keim angelegt, wenn sie ihre politischen Entscheidungen treffen mussten. Sie konnten nie wirklich sicher sein, dass sie für diese Entscheidungen Anerkennung und Zustimmung bekommen würden. Was müssen sie gelitten haben!



FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN



Wir wissen heute: das Erleben von Ausgrenzung, Ablehnung und Bestrafung aktiviert genau dieselben Nervennetze im Gehirn, wie körperlicher Schmerz. (6) Es tut nicht nur in der Einbildung weh, wenn wir zurückgestoßen werden. Aber wir können es ja auch nicht verhindern. Es passiert – ob wir es nun verstehen oder nicht!

Also: Haltung!? Wie’s in mir drinnen aussieht, geht keinen etwas an? Den Schmerz und das Leiden nicht zeigen? Denn wenn ich erkennen lasse, dass ich Schwächen habe, was passiert dann?

Du wirst lachen: Eine aus meiner Sicht passende Erklärung fand ich ausgerechnet bei einem schwedischen Krimi-Autor (ja, ich lese zur Entspannung gerne Kriminalromane und die guten davon bieten immer mal wieder solche passenden Bonmots zu unserem Thema): „Wir werden nicht für Worte zur Rechenschaft gezogen, ich begreife nicht so recht, warum wir uns ständig in deren schützende Obhut flüchten. Warum wagen wir es nicht, in Schweigen und unseren Gedanken zu ruhen? In den Momenten und Zeiten, in denen wir unseren Handlungen nicht das richtige Gewicht und ihre wahre Bedeutung beimessen, zerstören wir unser Leben, das ist nichts Neues, aber es würde zweifellos alles anders aussehen, wenn wir uns mehr Zeit für Stille und Nachdenken gönnten.“ (7)

Von Bismarck ist anzunehmen, er verstand seine Neigung als Pflicht. Vielleicht gibt es auch die Umkehrung: Die Neigung zur Pflicht. Ist es vielleicht genau diese innere Haltung „ich will eine nützliche, sinnvolle, für die Gesellschaft wertvolle Aufgabe erfüllen, weil ich es für meine Verantwortung halte“? Meine Coachees klagen oft darüber, dass sie genau diese innere Haltung haben – sie aber nicht realisieren können! Sie fühlen eine besondere Schwierigkeit, dieses hohe Ziel zu verwirklichen. Scheinbar ist daran niemand interessiert, außer sie selbst?

Du schreibst: “Wir denken oft, dass es die besonders Erfolgreichen leichter haben mit dem Erfolg.“  Ja, diese Vorstellung ist weit verbreitet. Von „… die kriegen ja auch eine Menge Geld dafür…“ bis …“die müssen ja nicht, aber wenn sie nun mal so scharf auf die Macht sind…“ reichen die Vor-Verurteilungen und Ablehnungen, wenn es um Politiker oder Führungskräfte geht. Sie werden sogar wie Schopenhauer es beschreibt, zur Schauspielerei für verpflichtet gehalten: „Das Spiel lehrt Contenance zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt.“ (8)

Wer kehrt sich schon um deren Sorgen? Und unsere Hochbegabten – leider werden sie häufig genau so betrachtet. Sie sind ja scheinbar von der Natur bevorzugt, warum sollten sie dann auch noch besonders viel Zuwendung von den normalen Menschen bekommen? Mögen sie doch endlich aufhören zu jammern, und etwas mehr Haltung zeigen!
Doch das tun sie nicht. Sie tun, was scheinbar alle tun. Es ist, wie Du schreibst: „Man outet sich zusehends. Mit seiner Krankheit, seinem Leid, seiner Sexualität. Immer öfter gilt: Man will sich auch in schwierigen Situationen mitteilen. Isolationen aufbrechen und mutig kommunizieren, was einst unter der Decke gehalten wurde. Und so erkennen wir, dass wohl alle Menschen Probleme haben. Nur: die einen können damit besser umgehen als die anderen. Die einen lassen Hilfe zu – die anderen meinen das selbst schaffen zu müssen.“

Ich glaube, das ist nicht nur für Hochbegabte typisch. Diejenigen, die auf Pflicht, Verantwortung und Leistung orientiert sind, nehmen auch Schwierigkeiten auf sich. Sie möchten nicht nur mitteilen, dass es Probleme gibt. Nein, sie möchten sich austauschen und in die Suche nach Lösungen auch andere einbeziehen. Sie fragen vielleicht nicht nach Hilfe, sondern nur nach Verständnis, nach Anregungen. Oder sie wünschen sich Ermutigung statt Ablehnung. Und ganz natürlicherweise  sehnen sie sich nach Wegbegleitern, wenn auch vielleicht nur für eine Etappe des Weges. Doch diese Wegbegleiter finden sich nicht so ohne Weiteres.

Denn die Wege, auf denen Hochbegabte die Welt zum Besseren verwandeln wollen, sind in aller Regel keine ausgetretenen, wohlbegrenzten und schön gepflasterten Pfade. Allein die Vorstellung davon verursacht manchem schon eine gruselige Gänsehaut. Zumindest haben Hochbegabte häufig keine Lust, im allgemeinen Strom mitzuschwimmen. Also bleiben sie unverstanden, abgewiesen, einsam.
Da ich gerade auf den Spuren von Margaret Thatcher denke: „Folge nie der Menge, nur weil du Angst hast, anders zu sein.“ (9)


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN




Ich bin begeistert davon, wie Du diese Situation auch für die Emanzipation der Frauen abbildest. Ähnliche Wertewandel sehen wir, wenn es um die Gleichstellung von Homosexuellen geht, um Rassengleichheit oder generell um soziale Gerechtigkeit – alles Gebiete, auf denen hervorragende Persönlichkeiten durch lange Kämpfe gegangen sind. Mit Ihnen jedoch gingen, anfangs zögerlich und dann Schritt für Schritt immer mehr zuerst unbemerkte, namenlose, aber durch das Vorbild ermutigte Gefährten. Erst im Nachhinein wurden die „Vorkämpfer“ gewürdigt – für den Erfolg, nicht für das Ertragen von Schmerz und Einsamkeit.  Und was das Thema Hochbegabung betrifft, vollzieht sich bei uns ja auch so einiges. Die von Dir erwähnte technische Revolution, die Globalisierung und nicht zuletzt auch der demografische Wandel führen zu mehr Achtung vor geistigen Ressourcen. Auch das hat die eiserne Lady ihren Widersachern deutlich vor Augen gehalten: "Ich habe Chancen und Anreize geschaffen. Wenn wir es nicht schaffen, die Tüchtigen anzulocken und sie zum Bleiben in unserem Land zu bewegen, dann haben wir auch nicht den Motor, der den Rest von uns mit nach oben zieht.“ (10)

Die allgemeine Akzeptanz nimmt also langsam zu. Nur: Es geht wirklich langsam. Und für manchen von uns geht es gefühlt einfach viel zu langsam. Da kommt gelegentlich Verzweiflung über die Einsamkeit auf. Da wächst der Wunsch, verständnisvolle Gesprächspartner oder gar Wegbegleiter zu finden, fast zur verzweifelten Suche an. Und dann kann es passieren, dass man im Übermaß der empfundenen Verlassenheit die Schleusen öffnet, den Strom der Klagen über die erschrockene oder frustrierte Umwelt ausgießt und damit genau das Gegenteil von dem erreicht, was man ersehnt.


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN




Wie Du hörte auch ich in der Mitte der 80er Jahre erstmals von Coaching. In unserem Wissenschaftlerteam gab es eine Begeisterung für  diese „begleitende Beratung zur Steigerung der Sozialkompetenz von Führungskräften“ (ja, so umständlich haben wir den Begriff übersetzt, denn das Wort Coaching war zu amerikanisch!). Und wir gingen damit sofort  in die Unternehmen, in die Praxis. Wir wollten Führungskräften helfen, ihren Job erfolgreicher zu verrichten. Dort erlebten wir dann eine Überraschung: Was uns immer wieder begegnete, war nicht Anerkennung oder Lernbereitschaft, sondern Klagen, Klagen, Klagen. Wir waren für viele Führungskräfte die ersten, die sich für die menschliche Seite der Machtausübung interessierten. Und da wir zum Zuhören gekommen waren, machte man von unserer Aufmerksamkeit regen Gebrauch. Es war längst an der Zeit, endlich mal über die Schwierigkeiten der eigenen Person reden zu dürfen. Es musste endlich mal raus. Aber keiner glaubte daran, dass wie HELFEN könnten.

Damals habe ich zum ersten Mal ein Gefühl dafür bekommen, dass „die da oben“ es eben nicht leichter, sondern häufig sogar viel schwerer haben als andere. Es kommt nämlich sehr darauf an, wem sie von ihren Sorgen, Nöten und Schmerzen erzählen. Es ist wichtig, dass sie überhaupt jemanden finden, mit dem sie dies vertrauensvoll tun können. Und zwar ohne gleich als unfähig oder ungeeignet eingeschätzt zu werden. Erst wenn dieses Vertrauen vorhanden ist und die Sorgen und Nöte offengelegt sind, kann die Lösungssuche beginnen.

Liebe Lilli, dieser Absatz von Dir begeistert mich bei jedem Lesen wieder: „Die Klugen wussten schon immer, wie und wo sie sich Hilfe holen konnten. Und mit klug meine ich jetzt nicht unbedingt „hochbegabt“. … Wir erleben Tag für Tag, dass Hochbegabte nicht alles wissen, können, tun. Woher auch? Hochbegabung heißt ja nicht Omnipotenz.“
Wir wissen das. Genau! Und wir verstehen, dass es keine Schwäche ist, etwas nicht zu können, nicht zu wissen, nicht zu tun.

Lassen wir doch unsere Coachees einfach mal klagen! Sie brauchen das, denn auch sie leiden, nicht nur in ihrer Einbildung.

Und: Wir Coaches kommen ja auch nicht gleich mit dem „Vorschlags- Hammer“, wie vielleicht mancher befürchtet. Wir bewerten die Sorgen und auch die Lösungsideen unserer Gesprächspartner nicht nach „Richtig“ oder „Falsch“. Wir stellen sie nicht auf den Prüfstand der Tauglichkeit. Wir lassen unseren Coachees jede Freiheit, ihre eigene Sicht der Dinge darzulegen. Genau in dem Tempo und der Dramatik, die sie empfinden. Sie selbst entscheiden, was sie alleine machen – und was sie lernen wollen. Und wo sie Hilfe in Anspruch nehmen. Dein Magisches Dreieck aus Zielen + Selbstbewusstsein + Handicap ist auch für uns Coaches eine Art Leitfaden, ein Richtungsanzeiger durch den Coachingprozess. Mit uns können unsere Gesprächspartner ihre Ziele klären, um ihre Wünsche, Sehnsüchte und Visionen zu realisieren. Wir stärken ihr Selbstvertrauen. Und wir sehen uns mit ihnen gemeinsam die Handicaps an, die auf ihrem Weg liegen. Manche besprechen das vielleicht lieber mit einem guten Freund, einer Freundin, einem geliebten Menschen oder mit Gott. Für alle anderen sind wir da. Denn bei uns kommt noch eine andere Kategorie von Freiheit zum Tragen: Wir bleiben neutral. Wir sind nicht die Prüfungskommission, die einen Kandidaten auch mal durchfallen lassen kann (und will?).  Wir haben keine Ambitionen, dass unsere Coachees nach unserem Muster leben – sie sind nur sich selbst und ihren eigenen Zielen verpflichtet, nicht uns.

Das ist das Holz,  aus dem die Erfolgreichen „geschnitzt“ sind. Vielleicht geschnitzt im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht schmerzfrei in Ruhe und wohlgepflegt gewachsen, sondern in Kämpfen mit sich selbst und mit anderen erstarkt. Wohlgemerkt: Kämpfe MIT sich und MIT anderen – nicht immer nur GEGEN!

Und das ist mehr als pure erzwungene Pflichterfüllung. Das sind dann die Prüfungen, denen wir uns gestellt und die wir bestanden haben. Und auf die wir mit Recht bauen können. Und stolz sein. Dabei ist es gar nicht wichtig, ob andere diese Prüfungen schwierig finden, denn auch das ist ja für jeden ein ganz eigenes Maß. Der eine findet Feuerlaufen „doof“ (vor allem, wenn er es nur vom Hörensagen kennt), die andere hat sich durch eigene Erfahrung das unbeschreibliche Hochgefühl der Selbstüberwindung auf glühenden Kohlen zunutze gemacht, um daraus immer wieder Kraft zu schöpfen. Ich bin meinem verehrten Kollegen Werner Ehrhardt (11) bis heute dankbar, dass er mir diese Erfahrung anfangs der 90er Jahre ermöglicht hat. Und ich bin begeistert, dass auch Du dieses mächtige Stimulans kennst: Etwas zu schaffen, was man selbst nicht für möglich gehalten hätte.

Ehrlich, liebe Lilli, ich habe in meinem Leben in den schwierigsten Situationen immer jemanden gesucht und auch gefunden, der an meiner Seite mit mir gemeinsam „durchs Feuer gelaufen“ ist. Und das waren oft Kollegen. Coaches oder Berater, die nichts anderes getan haben, als mein Ich zu stärken. Und die das tun konnten, weil sie selbst stark sind. Nicht perfekt! Perfektion ist eine göttliche Eigenschaft, keine menschliche.  Aber es ist, wie Du schreibst: „Wer einmal Unmögliches getan hat – sieht die Welt mit anderen Augen an!

Und wer gerade verzaubert wurde – kann auch einen neuen Blick auf Pflicht und Neigung werfen!“


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN



Liebe Lilli, vielleicht hilft es so manchem Hochbegabten, wenn er sich mal verzaubern lässt? Unser Blog hier heißt ja nicht zufällig „Prometheus‘ Lobby“. Metaphorisch, also bildlich gesprochen, mögen wir die hoch Begabten daran erinnern, was Prometheus in Dichtung oder Wahrheit für die Menschen getan hat: Leben eingehaucht, Talente geschenkt und Feuer gebracht.

Und obwohl sie es ihm nicht angemessen gedankt haben als er noch unter ihnen weilte, ließ er sich davon nicht abhalten und sie nutzen es noch heute! So bleibt Prometheus nicht nur als Legende sondern auch als symbolischer Fürsprecher für die – im Unterschied zu den Göttern – unvollkommenen Menschen (12) im Bewusstsein.

Wir danken unserem Lieblingsdichter Goethe die eindringliche Darstellung von Prometheus‘ Kampfesmut und Menschenliebe, die auch uns im Coaching leitet.

Liebe Lilli, für mich steht am kommenden Wochenende wieder eine Begegnung mit der geballten Masse von Hochbegabten bevor: Mensa in Deutschland e.V. „feiert“ sein Jahrestreffen in Münster. Es wird wie immer ein wahres Fest an Geistesblitzen und Inspirationen geben und ich freue mich darauf! Und in meinem nächsten Brief werde ich wieder viel zu berichten haben. Aber vorher sehe ich erwartungsvoll Deiner Antwort entgegen. Hast Du schon Frühlingsblumen um Dich? Ich wünsche es Dir!



FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN


Sei herzlich umarmt
Deine Karin


Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmer’s
Unter der Sonn‘ als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wusst‘, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug‘
Zur Sonne, als wenn drüber wär‘
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du’s nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängstigten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?

Hier sitz‘ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich. (13)


1 Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf Phoenix gesendet   http://www.youtube.com/watch?v=DaLVWMKYdjw
4 Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf Phoenix gesendet  http://www.youtube.com/watch?v=DaLVWMKYdjw
7  Håkan Nesser: eine ganz andere Geschichte. BTB Verlag, ISBN 978-3-442-74091-8, S.402
8 Zugeschrieben Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)
13  Johann Wolfgang Goethe (1749–1832): Prometheus (1774) http://de.wikisource.org/wiki/Prometheus_(Gedicht,_fr%C3%BChe_Fassung)