Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

Translate

Sonntag, 28. April 2013

Gottes Soldat und die Amazone

Liebe Karin,

BRAVO! Das ist ja ein spannender Vergleich: Der „Eiserne Kanzler“ und die „Eiserne Lady“. Bismarck als einer der politischen Hauptakteure des 19. Jahrhunderts in Preussen/Deutschland – Thatcher als eine ebensolche Figur im 20. Jahrhundert des Vereinigten Königreichs. 

Beide scheinen beseelt von ihrer Pflicht,  ihren Visionen und Herausforderungen gewesen zu sein: Die Vormachtstellung Preussens und die Einigung des Deutschen Reiches – hier. Das Leben als  „Retterin der britischen Wirtschaft“ (1) – dort.

Und was es sonst noch alles gewesen war, werden wir von den Historikern erfahren. Im Laufe der Zeit. Es wird weiterhin Interpretationen mit unterschiedlichen Pointierungen und Nuancen geben. Wir dürfen gespannt bleiben. Und sehen, wie unsere Fragen beantwortet werden.

Zweifellos: Beide Politiker waren „ganz normale Menschen“ – oder wie der Bischof von London, Richard Chartres, bei der Trauerfeier für Margaret Thatcher  sagte: „Die Verstorbene sei in der Kirche ‚eine von uns, mit dem gleichen Schicksal wie alle Menschen‘“. (2)

Aber was heisst das: ‚Eine von uns‘? „Mit dem gleichen Schicksal wie alle Menschen“? Zwei Menschen mit ganz normalen Bedürfnissen und Wünschen: Hunger, Durst, Schlaf – Liebe, Bewegung? Sicher. Aber eben auch noch einiges darüber hinaus. Denn bei ganz ‚normalen Menschen‘ kommt zumeist nicht die Queen zur Beerdigung, schweigt nicht der Big Ben – und ist die Gesellschaft nicht bis ins Mark gespalten.

Und bei Bismarck? Bei einem ganz normalen Menschen, greift kein Theodor Fontane der Zeitgeschichte zum Stift und dichtet:

„Nicht in Dom oder Fürstengruft,
er ruh' in Gottes freier Luft
draußen auf Berg und Halde,
noch besser, tief, tief im Walde
Widukind lädt ihn zu sich ein:

‚Ein Sachse war er, drum ist er mein,
im Sachsenwald soll er begraben sein.‘

Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt,
aber der Sachsenwald, der hält,
und kommen nach dreitausend Jahren
Fremde hier des Weges gefahren
und sehen geborgen vorm Licht der Sonnen,
den Waldgrund in Efeu tief eingesponnen
und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
so gebietet einer: ‚Lärm nicht so! -

Hier unten liegt Bismarck irgendwo.‘“ (3)

Und welcher Kaiser hätte je gesagt: „Es ist nicht leicht, unter einem solchen Reichskanzler Kaiser zu sein.“? Kaiser Wilhelm I. – und mit Reichskanzler war – selbstredend – Bismarck gemeint. (4)

Wie war Bismarck, dass es – im 19. Jahrhundert in einer autoritären Kultur – für einen Kaiser „nicht leicht“ war, mit ihm klar zu kommen?  Oder anders gesagt: Was machte Bismarck so stark? So grenzenlos? So selbstsicher?


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Auffallend ist des Schönhauseners Unbeirrbarkeit in der grossen Linie, seine Willensstärke im Grossen und Ganzen, auffallend ist sein Mut. Durch wen oder was wurde seine Grösse gespeist?  Durch sein Selbstbewusstsein. Aber auch dieses war an eine Quelle angeschlossen: Gott.

Wir alle kennen diesen Satz aus seiner Rede im Reichstag: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!” (5) Das war für Bismarck  nicht immer so. Persönliche Briefe bezeugen: In der Jugend gab es Zeiten, in denen er sich innerlich leer fühlte und das Beten verlernt hatte. (6) Als er jedoch Johanna von Puttkammer heiratet - eine tief religiöse Protestantin - sagt Bismarck, er habe "den Glauben an einen persönlichen Gott, an ein Jenseits und an die christliche Heilslehre wieder gewonnen". (7)

Im Gespräch mit Gott und als „Gottes Soldat“ (8) zieht er dann in die Kriege. In die Kriege, die er gewinnt. Im Glauben an seine eigene Unverwundbarkeit?  Verwundbar scheint er in seiner Seele zu sein. Aber auch mit ihr ist er ins Reine gekommen: "Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären 80000 Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht. Das habe ich indes mit Gott abgemacht." (9)

Bismarck kämpfte  als Gottes Soldat für den König. Und gewann. Denn Gott persönlich war an seiner Seite – so seine Überzeugung. Bismarcks „Gott wird mit uns sein!“ (10) machte den „Eisernen Kanzler“  über weite Strecken unangreifbar machtvoll und erfolgreich. Altruistisch? Als ich sehr jung einmal in Friedrichsruh an seinem Schreibtisch stand, war ich von seiner Kraft, seiner Unermüdlichkeit und seinem Lebenswerk beeindruckt. Altruismus? Da müsste ich sehr viel tiefer graben.

Margaret Thatcher? Auch eine beeindruckende Lebensleistung – für die einen. Für viele ihrer Landsleute genau das Gegenteil. Ebenfalls ein Mensch, der die Menschen nicht unberührt liess.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

„Sie glaubte, gewissermaßen die Welt gerettet zu haben, und das spricht für große Egozentrik“, sagte ihr Biograph Charles Moore (11).  Ganz offensichtlich war sie von glühender Begeisterung für sich selbst, suchte „sehr“ das Abenteuer und „war erfüllt vom Bestreben, die Männerwelt zu erobern“. (12) In einer Zeit, in der andere Frauen gerade mal entdeckt hatten, dass sie (zumeist) nicht die gläserne Decke nach oben durchbrechen können – sagte Maggie Thatcher den Jungs den Kampf an. Und gewann.

Und das nicht nur auf dem frisch gebohnerten politischen Parkett in London, sondern auch noch ein paar Tausend Kilometer weiter entfernt im südlichen Atlantik: der Sieg auf den Falkland-Inseln sicherte auch ihr politisches Überleben auf der heimischen Insel. SelbstbewusstseinXXL mag zwar nicht immer zum Sieg führen, aber mit gewissen Methoden, Einstellungen und Verhaltensweisen im Portfolio war Thatcher zu dieser Zeit auf der richtigen Seite des Erfolgs.

Immer perfekt frisiert, schmuckreich gestylt und immer mit der legendären schwarzen Handtasche – wer hätte sich vorstellen können, dass Sie Schocks liebt? Biograph Moore:  „Sie liebte es, schockiert zu werden. (…) So angepasst sie nach außen hin auch wirkte, betrachtete sie das Ganze als ein gigantisches Abenteuer. Trotz ihrer ernsten Züge flirtete sie gern (…)“. (13)

Eine Amazone in 10 Downing Street.

Auch hier frage ich mich: Woher kam Ihr Selbstbewusstsein? Ihre Selbstsicherheit? In einer Zeit, in der die Frauen in Mitteleuropa anfingen, das Wort Emanzipation zu buchstabieren? Wir werden wohl darauf warten, was die Historiker im Laufe der Zeit ans Licht bringen. Einen ersten Hinweis habe ich bei ihrem Biographen entdecken können: Thatcher „liebte die King-James-Bibel“. (14) Ihr Vater war Politiker und Laienprediger. War die „Eiserne Lady“ – ähnlich wie Bismarck – im steten Gespräch mit Gott? Und bezog sie von dort ihre Kraft, ihren Mut und ihren Eigensinn?

Beides keine Menschen wie Du und ich – oder doch?

Mit ihrem eigenwilligen Leben haben Bismarck & Thatcher grosse Erfolge, Siege und Ansehen erreicht. Für Gott, die Krone – und naja auch für das Vaterland.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

So glänzend sie auch dastehen in der Welt – die andere Seite der Medaille ist zumeist weniger hochglanzpoliert.

Von Bismarcks „Hölle“ haben wir schon gelesen. Und von der Unfähigkeit zu erkennen, dass seine schmerzenden Wangen – er liess sich deshalb einen mächtigen Vollbart stehen – schreibt der Spiegel bereits 1950 (15) – „nur“ Zahnschmerzen waren: Bismarck hatte Angst zum Zahnarzt zu gehen. Wer kann das nicht nachvollziehen?

Ebenso wie die schlaflosen Nächte. Weil er sich hat übermannen lassen von einem abgrundtiefen Hass: auf wirkliche und eingebildete Feinde. Ja, einen guten Coach an seiner Seite hätte er wirklich brauchen können. Und natürlich auch einen fähigen Zahnarzt.

Und Margaret Thatcher? Sie machte fast alles mit ihrem Willen: "Man muss mit einem eisernen Willen daran gehen, diese Schwierigkeiten zu überwinden." (16) Aber nicht nur: „Ja, sie war auch sehr nachdenklich. (…) Sie hatte außerdem die Einstellung, immer nach vorn zu schauen. (…) Sie wollte keine Schwachstellen zeigen.“ (17) Aber: wer will das schon?

Also: Ja, Karin! Beide – Bismarck und Thatcher – sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Wie wahrscheinlich auch noch andere Ausnahmepersönlichkeiten, die in der Politik zu Hause sind.

Politiker wissen, dass sie anders ticken als normale Menschen. Es gibt da eine „Betriebsanleitung“, die sicher jeder Mensch im Politikbetrieb vom ersten Tag an gelernt hat: "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmass zugleich." (18) Ein starkes langsames Bohren. Disziplin. Von harten Brettern. Fleiss. Fleiss. Fleiss. Mit Leidenschaft und Augenmass. Begeisterung. Planung. Bescheidenheit.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Der Klassiker aus Max Webers Werk „Politik als Beruf“.

Du fragst: „Brauchten sie keine „Hilfe“? Probleme, Leid und Schmerz hatten sie doch auch? Oder hatten sie ganz selbstverständlich immer Helfer um sich, die ihnen die Kraft und auch mal den entscheidenden Rat zur Überwindung ihrer schweren Stunden geben konnten?“

Früher – und damit meine ich vor allem Bismarck – waren die Politiker zumeist beratungsresistent. Wenn sie je einen anderen Menschen in ihre Nähe gelassen haben, dann musste dies eine sehr grosse Persönlichkeit sein. Wie etwa Friedrich II. – der alte Fritz – der Voltaire in seinem Schloss willkommen hiess, ihn goutierte. Aber ihn dann - seiner überdrüssig - nach Hause schickte.

Wer hätte Bismarck das Wasser reichen können? Wenn selbst ein Kaiser – auch wenn es im Spass gemeint sein sollte – sich ihm unterlegen fühlte? Bismarck vertraute seiner Frau. Und von ihr konnte er auch einen Rat annehmen. Der Arzt Ernst Schweninger konnte seine Gesundheit positiv beeinflussen.

Auch wenn es auf den ersten Blick anders wirkt, Bismarck liebte die Stille. Und er gönnte sich Spaziergänge. Und nicht nur die. Manchmal kehrte er Berlin wochenlang den Rücken, um in die Stille zu gehen. Nach Hause. In die Familie. In die Wälder. Heute einfach unvorstellbar.

Auch Maggie Thatcher muss ihre Mussezeiten geliebt haben. Es ist bekannt, dass sie die Romantik liebte. Gedichte, die sie auswendig kannte. In der Kirche musste sie nicht ins Gesangbuch schauen – sie kannte die Texte auswendig. Irgendwann muss sie auswendig gelernt haben.

An die Stille denke ich in diesen Wochen recht oft. Und an Menschen, die immer mehr die Ruhe suchen – und finden. Schön, dass Dich ebenfalls solche Gedanken erreichen.

Zurück zum Politikbetrieb: Ich habe die Erfahrung gemacht, mit dem „Eisern sein“  gegen Krankheit, Leid und Schmerzen kann es ähnlich sein wie beim Laufen. Irgendwann hat man den Punkt überwunden, an dem die Beine weh tun – man läuft dann einfach weiter: Marathon.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Die Light-Version der beiden Politiker Bismarck und Thatcher habe ich in meinem nächsten Umfeld erlebt: Ich war dabei als eine Abgeordnete nach über 30 Stunden Arbeit vors Mikrofon trat – und während ihrer Rede schliesslich zusammenbrach. Auch das ist, wie wir wissen, heute keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: Wir wissen, wie rasant Burnout-Erkrankungen zunehmen.

Jahre später war ich (fast) täglich in Bundestagsbüros, im Politischen Presseclub und in Ministerien. Als wir einmal an einer Rede arbeiteten und ich erst um vier morgens das Bundestagsbüro verliess, war ich nicht erstaunt, dass in anderen Büros noch ernsthaft gearbeitet wurde – und in wieder anderen Büros die Arbeit schon begonnen hatte. Es gab kein Zeitgefühl. Gab es ein Schmerzgefühl? Ich erinnere mich nicht daran.

Ob diese Menschen gelitten haben? Ich weiss es nicht. Wir haben nie darüber gesprochen. Ich habe es nie erlebt. Richtig gelitten haben sie allerdings, wenn sie nicht arbeiten durften. Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, wenn ich sagen würde: Workaholiker.

Sie verstanden ihre Visionen als Herausforderung, als Ziel, das sie unbeirrt erreichen wollten. Sie mussten nicht. Sie wollten. Sie kämpften für eine – in ihren Augen – bessere Welt: Chancengerechtigkeit, Bildung, Umwelt.

Es ist wie Du sagst: „Ich glaube, das ist nicht nur für Hochbegabte typisch. Diejenigen, die auf Pflicht, Verantwortung und Leistung orientiert sind, nehmen auch Schwierigkeiten auf sich.“

Und da sie in ihrem Leben erlebt hatten, dass sie kleine Probleme spielend lösen konnten, wagten sie sich an immer grössere Themen und Herausforderungen. Gedankliche Quantensprünge – das war ihr Leben. Gleichwohl blieb immer noch (ein wenig) Zeit für Freunde, Theater, Reisen – tauchen, wandern, Marmelade einkochen. Nicht immer ein glückliches – aber ein erfülltes Leben.

Erfüllung. Das ist mehr als sich die meisten anderen Menschen, die ich kenne,  erlauben.

Ich danke Dir für den Gedanken des Klagens: „Lassen wir doch unsere Coachees einfach mal klagen! Sie brauchen das, denn auch sie leiden, nicht nur in ihrer Einbildung.“ Ich denke auch, dass es wichtig ist, erst einmal zuzuhören. Einfach reden lassen und zuhören. Aufmerksam sein. Und schauen, wann es möglich ist, selbst zu reden. Geduld haben.

Einfach reden lassen und zuhören – das habe ich auch jetzt auf meiner Auslandsreise erlebt. Dort habe ich besondere Menschen getroffen. Und die Gespräche mit ihnen durchwandern noch immer meinen Geist. Mit zwei Wissenschaftlern teilten wir die Mahlzeiten. Einer von ihnen ist Literaturprofessor – Lessing, Goethe, Schiller – Tolstoi und Dostojewski. Ich hatte viele Fragen – und bekam Antworten. Beim Abschied gab es eine Bitte an mich. Noch während er geheimnisvoll sprach, fragte ich mich: Welche BITTE? Literatur?! Ein Leckerbissen? Ein Fundstück? Ein Geheimnis?

Er sah meine Fragen in den Augen und wiederholte: Er habe eine Bitte an mich. Na, das muss ja wohl etwas ganz besonderes sein! Mein Goethe-Herz frohlockte … „Meine Bitte: Beten Sie.“ (Wie bitte? Beten? Beten? Beten?) Er wiederholte: „Meine Bitte: Beten Sie für alle verzweifelten Menschen.“


Foto: Saskia-Marjanna Schulz

Liebe Karin, ich bin sicher, dass Du wieder ein atemberaubendes Mensa-Wochenende - Jahrestreffen in Münster – gehabt hast. Ich freue mich schon jetzt auf Deinen Bericht. Und ich wünsche Dir hinreissende Tänzer beim TANZ IN DEN MAI!

Alles Liebe,
sei umarmt,
Deine Lilli

  
1 Margaret Thatcher
2 Trauerfeier für Margaret Thatcher: Letzter Gruß von Enkelin Amanda
3 Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
4 a.a.O.
5 „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!”: Bismarck spricht zum Reichstag (6. Februar 1888)
6 Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
7 a.a.O.
8 a.a.O.
9 a.a.O.
10 „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!”: Bismarck spricht zum Reichstag (6. Februar 1888)
12 a.a.O.
13 a.a.O.
14 a.a.O.
15 Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
16 Krieg um die Falklands: Thatchers wichtigste Schlacht
17 FAZ
18 Weber, Max: Politik als Beruf. München und Leipzig: Duncker & Humblot, 1919, S. 66

Sonntag, 14. April 2013

Das „Muster“ Bismarck?


Liebe Lilli, sei herzlich gegrüßt!

Du hast mir mit Deinen Ostergrüßen eine große Freude und viele Gedanken gebracht. Ich hatte gleich so viele Anregungen, dass die Pause in unserem Briefwechsel beinahe zwingend war.  

Und das schlechte Osterwetter bot ja auch genügend Gelegenheit zum stillen Verweilen zuhause. Doch nun will es endlich Frühling werden, die Osterfeiertage mit ihren vielen verschiedenen Höhepunkten sind vorbei, der neue Papst füllt nicht mehr jeden Tag die Titelseiten und die Eurokrise hat auch kaum noch Neuigkeitswert – dafür hat uns der Alltag wieder. Ran an die Arbeit:  wie versprochen setzten wir unseren Gedankenaustausch für unsere Leser fort.

Du erinnerst an Bismarck (1815-1898) und zeichnest in einem kurzen Bogen sein Leben: „Zuerst Hingabe an die Neigung. Dann erwachten Berufungen und Begabungen. Die Pflicht übernahm die Führung mit der Selbstdisziplin. Kriege und Siege. Schaffung des Deutschen Reiches. Ein leichter Weg für den klugen Kopf? Keineswegs. Es war ein täglicher Kampf. Bismarcks Selbsterkenntnis: „Ich bin stark (…) Aber schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle.“ (1)

Nun ist gerade Margaret Thatchers Tod für mich ein Anlass über die Frage nachzudenken, ob Bismarcks Leben und Haltung nicht so etwas wie ein Muster enthält? Ob nicht vielleicht die „Eiserne Lady“ so genannt wurde, weil sie die weibliche Variante dieses Musters war? (2)

Beide haben politische Geschichte geschrieben, beide sind historische Persönlichkeiten und werden kaum in ihrer Individualität wahrgenommen als „Mensch wie Du und ich“. Beide hatten als einzelne Person überragenden Einfluss auf Regierungen, Staaten, Gesellschaften.

Und doch: Bis hin zum Gesichtsausdruck scheint es menschliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden zu geben. Und auch wenn ich mir der großen politischen und historischen Unterschiede (3) ihrer beider Biografien bewusst bin: Sie wirken auf mich wie aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Und dazu gehört auch, dass sie kaum - wenn überhaupt dann nur im engsten, vertrauten Kreise und sehr allgemein -  über ihre inneren Zweifel oder Qualen gesprochen haben.

Brauchten sie keine „Hilfe“? Probleme, Leid und Schmerz hatten sie doch auch? Oder hatten sie ganz selbstverständlich immer Helfer um sich, die ihnen die Kraft und auch mal den entscheidenden Rat zur Überwindung ihrer schweren Stunden geben konnten? Aus Bismarcks „… aber schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle…“ (4) geht ja schon hervor, dass er das Schwinden seiner Kräfte wohl bemerkte. Und dass er es schlecht ertragen konnte.  

Über beide Persönlichkeiten gingen und gehen auch heute noch die Meinungen quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten weit auseinander. (5)  Das wussten sie, sie wurden ja ständig damit konfrontiert. Warum schraken sie nicht zurück? Warum gaben sie nicht auf, um endlich den ständigen Vorwürfen zu entrinnen? Oft war ja schon nicht mehr nur Kritik im Spiel, häufig war es auch Hass und manchmal Schlimmeres. Wie trist und sinnlos muss ihnen ihr anstrengendes, weil hochdiszipliniertes Arbeitsleben an manchen Tagen erschienen sein. Denn die von ihnen gewollten Erfolge waren oft noch nicht mal im Keim angelegt, wenn sie ihre politischen Entscheidungen treffen mussten. Sie konnten nie wirklich sicher sein, dass sie für diese Entscheidungen Anerkennung und Zustimmung bekommen würden. Was müssen sie gelitten haben!



FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN



Wir wissen heute: das Erleben von Ausgrenzung, Ablehnung und Bestrafung aktiviert genau dieselben Nervennetze im Gehirn, wie körperlicher Schmerz. (6) Es tut nicht nur in der Einbildung weh, wenn wir zurückgestoßen werden. Aber wir können es ja auch nicht verhindern. Es passiert – ob wir es nun verstehen oder nicht!

Also: Haltung!? Wie’s in mir drinnen aussieht, geht keinen etwas an? Den Schmerz und das Leiden nicht zeigen? Denn wenn ich erkennen lasse, dass ich Schwächen habe, was passiert dann?

Du wirst lachen: Eine aus meiner Sicht passende Erklärung fand ich ausgerechnet bei einem schwedischen Krimi-Autor (ja, ich lese zur Entspannung gerne Kriminalromane und die guten davon bieten immer mal wieder solche passenden Bonmots zu unserem Thema): „Wir werden nicht für Worte zur Rechenschaft gezogen, ich begreife nicht so recht, warum wir uns ständig in deren schützende Obhut flüchten. Warum wagen wir es nicht, in Schweigen und unseren Gedanken zu ruhen? In den Momenten und Zeiten, in denen wir unseren Handlungen nicht das richtige Gewicht und ihre wahre Bedeutung beimessen, zerstören wir unser Leben, das ist nichts Neues, aber es würde zweifellos alles anders aussehen, wenn wir uns mehr Zeit für Stille und Nachdenken gönnten.“ (7)

Von Bismarck ist anzunehmen, er verstand seine Neigung als Pflicht. Vielleicht gibt es auch die Umkehrung: Die Neigung zur Pflicht. Ist es vielleicht genau diese innere Haltung „ich will eine nützliche, sinnvolle, für die Gesellschaft wertvolle Aufgabe erfüllen, weil ich es für meine Verantwortung halte“? Meine Coachees klagen oft darüber, dass sie genau diese innere Haltung haben – sie aber nicht realisieren können! Sie fühlen eine besondere Schwierigkeit, dieses hohe Ziel zu verwirklichen. Scheinbar ist daran niemand interessiert, außer sie selbst?

Du schreibst: “Wir denken oft, dass es die besonders Erfolgreichen leichter haben mit dem Erfolg.“  Ja, diese Vorstellung ist weit verbreitet. Von „… die kriegen ja auch eine Menge Geld dafür…“ bis …“die müssen ja nicht, aber wenn sie nun mal so scharf auf die Macht sind…“ reichen die Vor-Verurteilungen und Ablehnungen, wenn es um Politiker oder Führungskräfte geht. Sie werden sogar wie Schopenhauer es beschreibt, zur Schauspielerei für verpflichtet gehalten: „Das Spiel lehrt Contenance zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt.“ (8)

Wer kehrt sich schon um deren Sorgen? Und unsere Hochbegabten – leider werden sie häufig genau so betrachtet. Sie sind ja scheinbar von der Natur bevorzugt, warum sollten sie dann auch noch besonders viel Zuwendung von den normalen Menschen bekommen? Mögen sie doch endlich aufhören zu jammern, und etwas mehr Haltung zeigen!
Doch das tun sie nicht. Sie tun, was scheinbar alle tun. Es ist, wie Du schreibst: „Man outet sich zusehends. Mit seiner Krankheit, seinem Leid, seiner Sexualität. Immer öfter gilt: Man will sich auch in schwierigen Situationen mitteilen. Isolationen aufbrechen und mutig kommunizieren, was einst unter der Decke gehalten wurde. Und so erkennen wir, dass wohl alle Menschen Probleme haben. Nur: die einen können damit besser umgehen als die anderen. Die einen lassen Hilfe zu – die anderen meinen das selbst schaffen zu müssen.“

Ich glaube, das ist nicht nur für Hochbegabte typisch. Diejenigen, die auf Pflicht, Verantwortung und Leistung orientiert sind, nehmen auch Schwierigkeiten auf sich. Sie möchten nicht nur mitteilen, dass es Probleme gibt. Nein, sie möchten sich austauschen und in die Suche nach Lösungen auch andere einbeziehen. Sie fragen vielleicht nicht nach Hilfe, sondern nur nach Verständnis, nach Anregungen. Oder sie wünschen sich Ermutigung statt Ablehnung. Und ganz natürlicherweise  sehnen sie sich nach Wegbegleitern, wenn auch vielleicht nur für eine Etappe des Weges. Doch diese Wegbegleiter finden sich nicht so ohne Weiteres.

Denn die Wege, auf denen Hochbegabte die Welt zum Besseren verwandeln wollen, sind in aller Regel keine ausgetretenen, wohlbegrenzten und schön gepflasterten Pfade. Allein die Vorstellung davon verursacht manchem schon eine gruselige Gänsehaut. Zumindest haben Hochbegabte häufig keine Lust, im allgemeinen Strom mitzuschwimmen. Also bleiben sie unverstanden, abgewiesen, einsam.
Da ich gerade auf den Spuren von Margaret Thatcher denke: „Folge nie der Menge, nur weil du Angst hast, anders zu sein.“ (9)


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN




Ich bin begeistert davon, wie Du diese Situation auch für die Emanzipation der Frauen abbildest. Ähnliche Wertewandel sehen wir, wenn es um die Gleichstellung von Homosexuellen geht, um Rassengleichheit oder generell um soziale Gerechtigkeit – alles Gebiete, auf denen hervorragende Persönlichkeiten durch lange Kämpfe gegangen sind. Mit Ihnen jedoch gingen, anfangs zögerlich und dann Schritt für Schritt immer mehr zuerst unbemerkte, namenlose, aber durch das Vorbild ermutigte Gefährten. Erst im Nachhinein wurden die „Vorkämpfer“ gewürdigt – für den Erfolg, nicht für das Ertragen von Schmerz und Einsamkeit.  Und was das Thema Hochbegabung betrifft, vollzieht sich bei uns ja auch so einiges. Die von Dir erwähnte technische Revolution, die Globalisierung und nicht zuletzt auch der demografische Wandel führen zu mehr Achtung vor geistigen Ressourcen. Auch das hat die eiserne Lady ihren Widersachern deutlich vor Augen gehalten: "Ich habe Chancen und Anreize geschaffen. Wenn wir es nicht schaffen, die Tüchtigen anzulocken und sie zum Bleiben in unserem Land zu bewegen, dann haben wir auch nicht den Motor, der den Rest von uns mit nach oben zieht.“ (10)

Die allgemeine Akzeptanz nimmt also langsam zu. Nur: Es geht wirklich langsam. Und für manchen von uns geht es gefühlt einfach viel zu langsam. Da kommt gelegentlich Verzweiflung über die Einsamkeit auf. Da wächst der Wunsch, verständnisvolle Gesprächspartner oder gar Wegbegleiter zu finden, fast zur verzweifelten Suche an. Und dann kann es passieren, dass man im Übermaß der empfundenen Verlassenheit die Schleusen öffnet, den Strom der Klagen über die erschrockene oder frustrierte Umwelt ausgießt und damit genau das Gegenteil von dem erreicht, was man ersehnt.


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN




Wie Du hörte auch ich in der Mitte der 80er Jahre erstmals von Coaching. In unserem Wissenschaftlerteam gab es eine Begeisterung für  diese „begleitende Beratung zur Steigerung der Sozialkompetenz von Führungskräften“ (ja, so umständlich haben wir den Begriff übersetzt, denn das Wort Coaching war zu amerikanisch!). Und wir gingen damit sofort  in die Unternehmen, in die Praxis. Wir wollten Führungskräften helfen, ihren Job erfolgreicher zu verrichten. Dort erlebten wir dann eine Überraschung: Was uns immer wieder begegnete, war nicht Anerkennung oder Lernbereitschaft, sondern Klagen, Klagen, Klagen. Wir waren für viele Führungskräfte die ersten, die sich für die menschliche Seite der Machtausübung interessierten. Und da wir zum Zuhören gekommen waren, machte man von unserer Aufmerksamkeit regen Gebrauch. Es war längst an der Zeit, endlich mal über die Schwierigkeiten der eigenen Person reden zu dürfen. Es musste endlich mal raus. Aber keiner glaubte daran, dass wie HELFEN könnten.

Damals habe ich zum ersten Mal ein Gefühl dafür bekommen, dass „die da oben“ es eben nicht leichter, sondern häufig sogar viel schwerer haben als andere. Es kommt nämlich sehr darauf an, wem sie von ihren Sorgen, Nöten und Schmerzen erzählen. Es ist wichtig, dass sie überhaupt jemanden finden, mit dem sie dies vertrauensvoll tun können. Und zwar ohne gleich als unfähig oder ungeeignet eingeschätzt zu werden. Erst wenn dieses Vertrauen vorhanden ist und die Sorgen und Nöte offengelegt sind, kann die Lösungssuche beginnen.

Liebe Lilli, dieser Absatz von Dir begeistert mich bei jedem Lesen wieder: „Die Klugen wussten schon immer, wie und wo sie sich Hilfe holen konnten. Und mit klug meine ich jetzt nicht unbedingt „hochbegabt“. … Wir erleben Tag für Tag, dass Hochbegabte nicht alles wissen, können, tun. Woher auch? Hochbegabung heißt ja nicht Omnipotenz.“
Wir wissen das. Genau! Und wir verstehen, dass es keine Schwäche ist, etwas nicht zu können, nicht zu wissen, nicht zu tun.

Lassen wir doch unsere Coachees einfach mal klagen! Sie brauchen das, denn auch sie leiden, nicht nur in ihrer Einbildung.

Und: Wir Coaches kommen ja auch nicht gleich mit dem „Vorschlags- Hammer“, wie vielleicht mancher befürchtet. Wir bewerten die Sorgen und auch die Lösungsideen unserer Gesprächspartner nicht nach „Richtig“ oder „Falsch“. Wir stellen sie nicht auf den Prüfstand der Tauglichkeit. Wir lassen unseren Coachees jede Freiheit, ihre eigene Sicht der Dinge darzulegen. Genau in dem Tempo und der Dramatik, die sie empfinden. Sie selbst entscheiden, was sie alleine machen – und was sie lernen wollen. Und wo sie Hilfe in Anspruch nehmen. Dein Magisches Dreieck aus Zielen + Selbstbewusstsein + Handicap ist auch für uns Coaches eine Art Leitfaden, ein Richtungsanzeiger durch den Coachingprozess. Mit uns können unsere Gesprächspartner ihre Ziele klären, um ihre Wünsche, Sehnsüchte und Visionen zu realisieren. Wir stärken ihr Selbstvertrauen. Und wir sehen uns mit ihnen gemeinsam die Handicaps an, die auf ihrem Weg liegen. Manche besprechen das vielleicht lieber mit einem guten Freund, einer Freundin, einem geliebten Menschen oder mit Gott. Für alle anderen sind wir da. Denn bei uns kommt noch eine andere Kategorie von Freiheit zum Tragen: Wir bleiben neutral. Wir sind nicht die Prüfungskommission, die einen Kandidaten auch mal durchfallen lassen kann (und will?).  Wir haben keine Ambitionen, dass unsere Coachees nach unserem Muster leben – sie sind nur sich selbst und ihren eigenen Zielen verpflichtet, nicht uns.

Das ist das Holz,  aus dem die Erfolgreichen „geschnitzt“ sind. Vielleicht geschnitzt im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht schmerzfrei in Ruhe und wohlgepflegt gewachsen, sondern in Kämpfen mit sich selbst und mit anderen erstarkt. Wohlgemerkt: Kämpfe MIT sich und MIT anderen – nicht immer nur GEGEN!

Und das ist mehr als pure erzwungene Pflichterfüllung. Das sind dann die Prüfungen, denen wir uns gestellt und die wir bestanden haben. Und auf die wir mit Recht bauen können. Und stolz sein. Dabei ist es gar nicht wichtig, ob andere diese Prüfungen schwierig finden, denn auch das ist ja für jeden ein ganz eigenes Maß. Der eine findet Feuerlaufen „doof“ (vor allem, wenn er es nur vom Hörensagen kennt), die andere hat sich durch eigene Erfahrung das unbeschreibliche Hochgefühl der Selbstüberwindung auf glühenden Kohlen zunutze gemacht, um daraus immer wieder Kraft zu schöpfen. Ich bin meinem verehrten Kollegen Werner Ehrhardt (11) bis heute dankbar, dass er mir diese Erfahrung anfangs der 90er Jahre ermöglicht hat. Und ich bin begeistert, dass auch Du dieses mächtige Stimulans kennst: Etwas zu schaffen, was man selbst nicht für möglich gehalten hätte.

Ehrlich, liebe Lilli, ich habe in meinem Leben in den schwierigsten Situationen immer jemanden gesucht und auch gefunden, der an meiner Seite mit mir gemeinsam „durchs Feuer gelaufen“ ist. Und das waren oft Kollegen. Coaches oder Berater, die nichts anderes getan haben, als mein Ich zu stärken. Und die das tun konnten, weil sie selbst stark sind. Nicht perfekt! Perfektion ist eine göttliche Eigenschaft, keine menschliche.  Aber es ist, wie Du schreibst: „Wer einmal Unmögliches getan hat – sieht die Welt mit anderen Augen an!

Und wer gerade verzaubert wurde – kann auch einen neuen Blick auf Pflicht und Neigung werfen!“


FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN



Liebe Lilli, vielleicht hilft es so manchem Hochbegabten, wenn er sich mal verzaubern lässt? Unser Blog hier heißt ja nicht zufällig „Prometheus‘ Lobby“. Metaphorisch, also bildlich gesprochen, mögen wir die hoch Begabten daran erinnern, was Prometheus in Dichtung oder Wahrheit für die Menschen getan hat: Leben eingehaucht, Talente geschenkt und Feuer gebracht.

Und obwohl sie es ihm nicht angemessen gedankt haben als er noch unter ihnen weilte, ließ er sich davon nicht abhalten und sie nutzen es noch heute! So bleibt Prometheus nicht nur als Legende sondern auch als symbolischer Fürsprecher für die – im Unterschied zu den Göttern – unvollkommenen Menschen (12) im Bewusstsein.

Wir danken unserem Lieblingsdichter Goethe die eindringliche Darstellung von Prometheus‘ Kampfesmut und Menschenliebe, die auch uns im Coaching leitet.

Liebe Lilli, für mich steht am kommenden Wochenende wieder eine Begegnung mit der geballten Masse von Hochbegabten bevor: Mensa in Deutschland e.V. „feiert“ sein Jahrestreffen in Münster. Es wird wie immer ein wahres Fest an Geistesblitzen und Inspirationen geben und ich freue mich darauf! Und in meinem nächsten Brief werde ich wieder viel zu berichten haben. Aber vorher sehe ich erwartungsvoll Deiner Antwort entgegen. Hast Du schon Frühlingsblumen um Dich? Ich wünsche es Dir!



FOTO: DR. KARIN RASMUSSEN


Sei herzlich umarmt
Deine Karin


Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmer’s
Unter der Sonn‘ als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wusst‘, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug‘
Zur Sonne, als wenn drüber wär‘
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du’s nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängstigten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?

Hier sitz‘ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich. (13)


1 Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf Phoenix gesendet   http://www.youtube.com/watch?v=DaLVWMKYdjw
4 Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf Phoenix gesendet  http://www.youtube.com/watch?v=DaLVWMKYdjw
7  Håkan Nesser: eine ganz andere Geschichte. BTB Verlag, ISBN 978-3-442-74091-8, S.402
8 Zugeschrieben Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)
13  Johann Wolfgang Goethe (1749–1832): Prometheus (1774) http://de.wikisource.org/wiki/Prometheus_(Gedicht,_fr%C3%BChe_Fassung)