BRAVO! Das ist ja ein spannender Vergleich:
Der „Eiserne Kanzler“ und die „Eiserne Lady“. Bismarck als einer der
politischen Hauptakteure des 19. Jahrhunderts in Preussen/Deutschland –
Thatcher als eine ebensolche Figur im 20. Jahrhundert des Vereinigten
Königreichs.
Beide scheinen beseelt von ihrer Pflicht, ihren Visionen und Herausforderungen gewesen
zu sein: Die Vormachtstellung Preussens und die Einigung des Deutschen Reiches
– hier. Das Leben als „Retterin der britischen
Wirtschaft“ (1) – dort.
Und was es sonst noch alles gewesen war,
werden wir von den Historikern erfahren. Im Laufe der Zeit. Es wird weiterhin
Interpretationen mit unterschiedlichen Pointierungen und Nuancen geben. Wir
dürfen gespannt bleiben. Und sehen, wie unsere Fragen beantwortet werden.
Zweifellos: Beide Politiker waren „ganz
normale Menschen“ – oder wie der Bischof von London, Richard Chartres, bei der
Trauerfeier für Margaret Thatcher sagte:
„Die Verstorbene sei in der Kirche ‚eine von uns, mit dem gleichen Schicksal
wie alle Menschen‘“. (2)
Aber was heisst das: ‚Eine von uns‘? „Mit
dem gleichen Schicksal wie alle Menschen“? Zwei Menschen mit ganz normalen
Bedürfnissen und Wünschen: Hunger, Durst, Schlaf – Liebe, Bewegung? Sicher.
Aber eben auch noch einiges darüber hinaus. Denn bei ganz ‚normalen Menschen‘
kommt zumeist nicht die Queen zur Beerdigung, schweigt nicht der Big Ben – und
ist die Gesellschaft nicht bis ins Mark gespalten.
Und bei Bismarck? Bei einem ganz normalen Menschen,
greift kein Theodor Fontane der Zeitgeschichte zum Stift und dichtet:
„Nicht
in Dom oder Fürstengruft,
er
ruh' in Gottes freier Luft
draußen
auf Berg und Halde,
noch
besser, tief, tief im Walde
Widukind
lädt ihn zu sich ein:
‚Ein
Sachse war er, drum ist er mein,
im
Sachsenwald soll er begraben sein.‘
Der
Leib zerfällt, der Stein zerfällt,
aber
der Sachsenwald, der hält,
und
kommen nach dreitausend Jahren
Fremde
hier des Weges gefahren
und
sehen geborgen vorm Licht der Sonnen,
den
Waldgrund in Efeu tief eingesponnen
und
staunen der Schönheit und jauchzen froh,
so
gebietet einer: ‚Lärm nicht so! -
Hier
unten liegt Bismarck irgendwo.‘“ (3)
Und welcher Kaiser hätte je gesagt: „Es ist
nicht leicht, unter einem solchen Reichskanzler Kaiser zu sein.“? Kaiser
Wilhelm I. – und mit Reichskanzler war – selbstredend – Bismarck gemeint. (4)
Wie war Bismarck, dass es – im 19.
Jahrhundert in einer autoritären Kultur – für einen Kaiser „nicht leicht“ war,
mit ihm klar zu kommen? Oder anders
gesagt: Was machte Bismarck so stark? So grenzenlos? So selbstsicher?
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Auffallend ist des Schönhauseners Unbeirrbarkeit in der grossen Linie, seine
Willensstärke im Grossen und Ganzen, auffallend ist sein Mut. Durch wen oder
was wurde seine Grösse gespeist? Durch
sein Selbstbewusstsein. Aber auch dieses war an eine Quelle angeschlossen:
Gott.
Wir alle kennen diesen Satz aus seiner Rede
im Reichstag: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!” (5)
Das war für Bismarck nicht immer so.
Persönliche Briefe bezeugen: In der Jugend gab es Zeiten, in denen er sich
innerlich leer fühlte und das Beten verlernt hatte. (6) Als er jedoch Johanna
von Puttkammer heiratet - eine tief religiöse Protestantin - sagt Bismarck, er
habe "den Glauben an einen persönlichen Gott, an ein Jenseits und an die
christliche Heilslehre wieder gewonnen". (7)
Im Gespräch mit Gott und als „Gottes Soldat“
(8) zieht er dann in die Kriege. In die Kriege, die er gewinnt. Im Glauben an
seine eigene Unverwundbarkeit? Verwundbar
scheint er in seiner Seele zu sein. Aber auch mit ihr ist er ins Reine gekommen:
"Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären 80000 Menschen
nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Witwen trauerten nicht. Das
habe ich indes mit Gott abgemacht." (9)
Bismarck kämpfte als Gottes Soldat für den König. Und gewann.
Denn Gott persönlich war an seiner Seite – so seine Überzeugung. Bismarcks „Gott
wird mit uns sein!“ (10) machte den „Eisernen Kanzler“ über weite Strecken unangreifbar machtvoll
und erfolgreich. Altruistisch? Als ich sehr jung einmal in Friedrichsruh an
seinem Schreibtisch stand, war ich von seiner Kraft, seiner Unermüdlichkeit und
seinem Lebenswerk beeindruckt. Altruismus? Da müsste ich sehr viel tiefer
graben.
Margaret Thatcher? Auch eine beeindruckende
Lebensleistung – für die einen. Für viele ihrer Landsleute genau das Gegenteil.
Ebenfalls ein Mensch, der die Menschen nicht unberührt liess.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
„Sie glaubte, gewissermaßen die Welt
gerettet zu haben, und das spricht für große Egozentrik“, sagte ihr Biograph
Charles Moore (11). Ganz offensichtlich
war sie von glühender Begeisterung für sich selbst, suchte „sehr“ das Abenteuer
und „war erfüllt vom Bestreben, die Männerwelt zu erobern“. (12) In einer Zeit,
in der andere Frauen gerade mal entdeckt hatten, dass sie (zumeist) nicht die
gläserne Decke nach oben durchbrechen können – sagte Maggie Thatcher den Jungs
den Kampf an. Und gewann.
Und das nicht nur auf dem frisch
gebohnerten politischen Parkett in London, sondern auch noch ein paar Tausend
Kilometer weiter entfernt im südlichen Atlantik: der Sieg auf den
Falkland-Inseln sicherte auch ihr politisches Überleben auf der heimischen
Insel. SelbstbewusstseinXXL mag zwar nicht immer zum Sieg führen, aber mit
gewissen Methoden, Einstellungen und Verhaltensweisen im Portfolio war Thatcher
zu dieser Zeit auf der richtigen Seite des Erfolgs.
Immer perfekt frisiert, schmuckreich
gestylt und immer mit der legendären schwarzen Handtasche – wer hätte sich
vorstellen können, dass Sie Schocks liebt? Biograph Moore: „Sie liebte es, schockiert zu werden. (…) So
angepasst sie nach außen hin auch wirkte, betrachtete sie das Ganze als ein
gigantisches Abenteuer. Trotz ihrer ernsten Züge flirtete sie gern (…)“. (13)
Eine Amazone in 10 Downing Street.
Auch hier frage ich mich: Woher kam Ihr Selbstbewusstsein? Ihre Selbstsicherheit? In einer Zeit, in der die Frauen in
Mitteleuropa anfingen, das Wort Emanzipation zu buchstabieren? Wir werden wohl
darauf warten, was die Historiker im Laufe der Zeit ans Licht bringen. Einen
ersten Hinweis habe ich bei ihrem Biographen entdecken können: Thatcher „liebte
die King-James-Bibel“. (14) Ihr Vater war Politiker und Laienprediger. War die „Eiserne Lady“ –
ähnlich wie Bismarck – im steten Gespräch mit Gott? Und bezog sie von dort ihre
Kraft, ihren Mut und ihren Eigensinn?
Beides keine Menschen wie Du und ich – oder
doch?
Mit ihrem eigenwilligen Leben haben
Bismarck & Thatcher grosse Erfolge, Siege und Ansehen erreicht. Für Gott,
die Krone – und naja auch für das Vaterland.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
So glänzend sie auch dastehen in der Welt –
die andere Seite der Medaille ist zumeist weniger hochglanzpoliert.
Von Bismarcks „Hölle“ haben wir schon
gelesen. Und von der Unfähigkeit zu erkennen, dass seine schmerzenden Wangen –
er liess sich deshalb einen mächtigen Vollbart stehen – schreibt der Spiegel
bereits 1950 (15) – „nur“ Zahnschmerzen waren: Bismarck hatte Angst zum
Zahnarzt zu gehen. Wer kann das nicht nachvollziehen?
Ebenso wie die schlaflosen Nächte. Weil er
sich hat übermannen lassen von einem abgrundtiefen Hass: auf wirkliche und
eingebildete Feinde. Ja, einen guten Coach an seiner Seite hätte er wirklich
brauchen können. Und natürlich auch einen fähigen Zahnarzt.
Und Margaret
Thatcher? Sie machte fast alles mit ihrem Willen: "Man muss mit einem
eisernen Willen daran gehen, diese Schwierigkeiten zu überwinden." (16) Aber nicht nur: „Ja, sie war auch
sehr nachdenklich. (…) Sie hatte außerdem die Einstellung, immer nach vorn zu
schauen. (…) Sie wollte keine Schwachstellen zeigen.“ (17) Aber: wer will das
schon?
Also: Ja,
Karin! Beide – Bismarck und Thatcher – sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Wie
wahrscheinlich auch noch andere Ausnahmepersönlichkeiten, die in der Politik zu
Hause sind.
Politiker
wissen, dass sie anders ticken als normale Menschen. Es gibt da eine „Betriebsanleitung“,
die sicher jeder Mensch im Politikbetrieb vom ersten Tag an gelernt hat: "Die
Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit
Leidenschaft und Augenmass zugleich." (18) Ein starkes langsames Bohren.
Disziplin. Von harten Brettern. Fleiss. Fleiss. Fleiss. Mit Leidenschaft und
Augenmass. Begeisterung. Planung. Bescheidenheit.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Der Klassiker aus Max Webers Werk „Politik als Beruf“.
Du fragst: „Brauchten
sie keine „Hilfe“? Probleme, Leid und Schmerz hatten sie doch auch? Oder hatten
sie ganz selbstverständlich immer Helfer um sich, die ihnen die Kraft und auch
mal den entscheidenden Rat zur Überwindung ihrer schweren Stunden geben konnten?“
Früher – und damit meine
ich vor allem Bismarck – waren die Politiker zumeist beratungsresistent. Wenn
sie je einen anderen Menschen in ihre Nähe gelassen haben, dann musste dies
eine sehr grosse Persönlichkeit sein. Wie etwa Friedrich II. – der alte Fritz –
der Voltaire in seinem Schloss willkommen hiess, ihn goutierte. Aber ihn dann -
seiner überdrüssig - nach Hause schickte.
Wer hätte Bismarck das
Wasser reichen können? Wenn selbst ein Kaiser – auch wenn es im Spass gemeint
sein sollte – sich ihm unterlegen fühlte? Bismarck vertraute seiner Frau. Und
von ihr konnte er auch einen Rat annehmen. Der Arzt Ernst Schweninger konnte seine
Gesundheit positiv beeinflussen.
Auch wenn es auf den ersten
Blick anders wirkt, Bismarck liebte die Stille. Und er gönnte sich
Spaziergänge. Und nicht nur die. Manchmal kehrte er Berlin wochenlang den
Rücken, um in die Stille zu gehen. Nach Hause. In die Familie. In die Wälder. Heute
einfach unvorstellbar.
Auch Maggie Thatcher muss
ihre Mussezeiten geliebt haben. Es ist bekannt, dass sie die Romantik liebte.
Gedichte, die sie auswendig kannte. In der Kirche musste sie nicht ins
Gesangbuch schauen – sie kannte die Texte auswendig. Irgendwann muss sie auswendig
gelernt haben.
An die Stille denke ich in
diesen Wochen recht oft. Und an Menschen, die immer mehr die Ruhe suchen – und
finden. Schön, dass Dich ebenfalls solche Gedanken erreichen.
Zurück zum
Politikbetrieb: Ich habe die Erfahrung gemacht, mit dem „Eisern sein“ gegen Krankheit, Leid und Schmerzen kann es
ähnlich sein wie beim Laufen. Irgendwann hat man den Punkt überwunden, an dem
die Beine weh tun – man läuft dann einfach weiter: Marathon.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Die
Light-Version der beiden Politiker Bismarck und Thatcher habe ich in meinem
nächsten Umfeld erlebt: Ich war dabei als eine Abgeordnete nach über 30 Stunden
Arbeit vors Mikrofon trat – und während ihrer Rede schliesslich zusammenbrach. Auch
das ist, wie wir wissen, heute keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: Wir wissen,
wie rasant Burnout-Erkrankungen zunehmen.
Jahre später war ich (fast) täglich in
Bundestagsbüros, im Politischen Presseclub und in Ministerien. Als wir einmal
an einer Rede arbeiteten und ich erst um vier morgens das Bundestagsbüro verliess,
war ich nicht erstaunt, dass in anderen Büros noch ernsthaft gearbeitet wurde –
und in wieder anderen Büros die Arbeit schon begonnen hatte. Es gab kein
Zeitgefühl. Gab es ein Schmerzgefühl? Ich erinnere mich nicht daran.
Ob diese Menschen gelitten haben? Ich weiss
es nicht. Wir haben nie darüber gesprochen. Ich habe es nie erlebt. Richtig
gelitten haben sie allerdings, wenn sie nicht arbeiten durften. Es wäre
allerdings zu kurz gegriffen, wenn ich sagen würde: Workaholiker.
Sie verstanden ihre Visionen als
Herausforderung, als Ziel, das sie unbeirrt erreichen wollten. Sie mussten
nicht. Sie wollten. Sie kämpften für eine – in ihren Augen – bessere Welt:
Chancengerechtigkeit, Bildung, Umwelt.
Es ist wie Du sagst: „Ich
glaube, das ist nicht nur für Hochbegabte typisch. Diejenigen, die auf Pflicht,
Verantwortung und Leistung orientiert sind, nehmen auch Schwierigkeiten auf
sich.“
Und da sie in ihrem Leben erlebt hatten,
dass sie kleine Probleme spielend lösen konnten, wagten sie sich an immer grössere
Themen und Herausforderungen. Gedankliche Quantensprünge – das war ihr Leben. Gleichwohl
blieb immer noch (ein wenig) Zeit für Freunde, Theater, Reisen – tauchen,
wandern, Marmelade einkochen. Nicht immer ein glückliches – aber ein erfülltes
Leben.
Erfüllung. Das ist mehr als sich die
meisten anderen Menschen, die ich kenne, erlauben.
Ich
danke Dir für den Gedanken des Klagens: „Lassen wir doch unsere
Coachees einfach mal klagen! Sie brauchen das, denn auch sie leiden, nicht nur
in ihrer Einbildung.“ Ich denke auch, dass es wichtig ist, erst einmal
zuzuhören. Einfach reden lassen und zuhören. Aufmerksam sein. Und schauen, wann
es möglich ist, selbst zu reden. Geduld haben.
Einfach reden lassen und zuhören – das habe
ich auch jetzt auf meiner Auslandsreise erlebt. Dort habe ich besondere
Menschen getroffen. Und die Gespräche mit ihnen durchwandern noch immer meinen
Geist. Mit zwei Wissenschaftlern teilten wir die Mahlzeiten. Einer von ihnen
ist Literaturprofessor – Lessing, Goethe, Schiller – Tolstoi und Dostojewski.
Ich hatte viele Fragen – und bekam Antworten. Beim Abschied gab es eine Bitte
an mich. Noch während er geheimnisvoll sprach, fragte ich mich: Welche BITTE?
Literatur?! Ein Leckerbissen? Ein Fundstück? Ein Geheimnis?
Er sah meine Fragen in den Augen und
wiederholte: Er habe eine Bitte an mich. Na, das muss ja wohl etwas ganz
besonderes sein! Mein Goethe-Herz frohlockte … „Meine Bitte: Beten Sie.“ (Wie
bitte? Beten? Beten? Beten?) Er wiederholte: „Meine Bitte: Beten Sie für alle
verzweifelten Menschen.“
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Liebe Karin, ich bin sicher, dass Du wieder
ein atemberaubendes Mensa-Wochenende - Jahrestreffen in Münster – gehabt hast. Ich freue mich schon jetzt auf
Deinen Bericht. Und ich wünsche Dir hinreissende Tänzer beim TANZ IN DEN MAI!
Alles Liebe,
sei umarmt,
Deine Lilli
1 Margaret Thatcher
2
Trauerfeier für Margaret Thatcher: Letzter Gruß von Enkelin Amanda
3
Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
4
a.a.O.
5
„Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!”: Bismarck spricht
zum Reichstag (6. Februar 1888)
6
Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
7
a.a.O.
8
a.a.O.
9
a.a.O.
10
„Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!”: Bismarck spricht
zum Reichstag (6. Februar 1888)
12
a.a.O.
13
a.a.O.
14
a.a.O.
15
Der Spiegel 1950: Auch ein verlorener Sohn
16
Krieg um die Falklands: Thatchers wichtigste Schlacht
17
FAZ
18
Weber, Max: Politik als Beruf.
München und Leipzig: Duncker & Humblot, 1919, S. 66