Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 17. März 2013

Ich. Kann. Das. Garantiert. Nicht. – Und wie es dann doch gelang!


Ich bewundere Deine Begabung als Fotografin!


Liebe Karin,

Du hast mir mal wieder so aus der Seele gesprochen – ich könnte fast Deinen gesamten Artikel wiederholen!

Vom „Berliner Untergrund“ und dem „Urschrei!“ zum Ballet und zum Mailänder Dom, den ich auch besonders liebe.  Von Stefan Frädrich (1) zu  Deinen tollen Freundinnen, die „der Problemfalle entkommen“ – weil sie etwas  „tun was Spaß macht, wann immer es geht. Auch wenn sie stattdessen gerade etwas viel Wichtigeres/Sinnvolleres tun könnten!“  Und wieder zurück zu „Pflicht und Neigung“. Ich musste diesmal dabei an Bismarck (1815-1898) denken. Und seine langen Spaziergänge im Sachsenwald und in Pommern.

Sein Leben: Zuerst Hingabe an die Neigung. Dann erwachten  Berufungen und Begabungen. Die Pflicht übernahm die Führung mit der Selbstdisziplin. Kriege und Siege. Schaffung des Deutschen Reiches. Ein leichter Weg für den klugen Kopf? Keineswegs. Es war ein täglicher Kampf. Bismarcks Selbsterkenntnis: „Ich bin stark (…) Aber schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle.“ (2) Schon 1872 klagte er: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“ (3)

Seine Spaziergänge mit den Hunden „gönnte“ er sich erst als seine Krankheiten ihn dazu zwangen. Neigung als Pflicht.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz


Wir denken oft, dass es die besonders Erfolgreichen leichter haben mit dem Erfolg. Vielleicht weil viele von ihnen auf ihre Haltung achten. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Contenance! Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) drückt es so aus: „Das Spiel lehrt Contenance zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt.“ Obgleich Contenance ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint, gilt diese Haltung immer noch für die meisten der Erfolgreichen, Promis, VIPs. Ein Indianer – eine Indianerin – kennt keinen Schmerz? Zumindest darf das Elend nicht gezeigt werden.

Aber hier sehen wir einen entgegengesetzten Trend: Man outet sich zusehends. Mit seiner Krankheit, seinem Leid, seiner Sexualität. Immer öfter gilt: Man will sich auch in schwierigen Situationen mitteilen. Isolationen aufbrechen und mutig kommunizieren, was einst unter der Decke gehalten wurde. Und so erkennen wir, dass wohl alle Menschen Probleme haben. Nur: die einen können damit besser umgehen als die anderen. Die einen lassen Hilfe zu – die anderen meinen das selbst schaffen zu müssen. Was meinst Du: zu welcher Gruppe zählen die Hochbegabten?

Während es im Sport seit langer Zeit selbstverständlich ist, dass ein Coach den Sportlern zur Seite steht – oder kannst Du Dir einen Fussballclub ohne Coach vorstellen? – hat sich der Gedanke an eine Begleitperson auf anderen Feldern erst langsam entwickelt.

Zu Zeiten der klassischen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, liefen auch die Karrierewege im Westen noch in anderen Bahnen. Im Management zum Beispiel. Der Sohn – sehr viel seltener: die Tochter – studierte auch im Ausland, pflegte internationale Kontakte und wurde nicht selten von einem Freund der Familie betreut. Hinzu kamen andere Freunde der Eltern und Grosseltern – zumeist ein Geistlicher, ein Lehrer, ein Politiker, ein Rechtsanwalt und ein Arzt. Der Nachwuchs wurde in entsprechende Netzwerke eingeführt – und das Leben nahm den üblichen Gang: Karriere, Ehe, Kinder. Man nahm sich Zeit und pflegte sich und sein Leben – als Mann.


Privat

Die Emanzipation der Frau, technische Revolutionen und ein neues Bewusstsein beendeten die Idylle. Die Werte verschoben sich – und Mann konnte nicht immer mithalten mit den Neuerungen. Manche Männer verloren erst den Überblick, dann den Job und schliesslich sich selbst. Netzwerke wurden brüchig. Das Vertrauen in Politik und Kirche bekam Risse. Und bald hatte fast jeder nur noch mit sich selbst zu tun.

Ich hörte in den 80er Jahren zum ersten Mal von Coaching. Eine Kollegin – Marktforscherin wie ich – kam gerade mit diesen News aus den USA zurück. Im Management wurde die Methode Coaching soeben langsam aber sicher eingeführt. Heute gehört sie zum Standard in den Unternehmen – aber auch in anderen Feldern ist sie inzwischen zu Hause wie etwa in der Politik, in Schulen, Universitäten.

Wer die Begleitung eines Coaches an seinem Arbeitsplatz in Anspruch nehmen kann, tut sich leichter mit Pflicht und Neigung. Und die anderen?

Die Klugen wussten schon immer, wie und wo sie sich Hilfe holen konnten. Und mit klug meine ich jetzt nicht unbedingt „hochbegabt“. Denn die Hochbegabten meinen, dass sie immer alles alleine machen können und müssen. Nicht selten weil es die Umwelt von ihnen erwartet. Wie oft hören sie die Sätze, die auch dankenswerterweise von Dir in Erinnerung gebracht werden: „für Dich ist das keine Mühe … ich denke Du bist hochbegabt? … wozu bist Du denn hochbegabt?“

Kein Wunder, dass sie gerne auf Hilfe verzichten, weil sie ja gelernt haben, dass sie es „eigentlich“ selbst können und wissen und tun müssen. Aber ist das wirklich so? Wir erleben Tag für Tag, dass Hochbegabte nicht alles wissen, können, tun. Woher auch? Hochbegabung heisst ja nicht Omnipotenz.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz


Der Ausweg heisst FREIHEIT! Selbst entscheiden, was ich alleine machen – und was ich lernen will. Und wo ich Hilfe in Anspruch nehme. Denn mal ehrlich: Wir machen ja auch nicht alle eine Ausbildung zum Elektriker, Schumacher und Augenarzt – wenn die Steckdose klemmt, die Schuhsohlen ein Loch haben und wir eine neue Brille brauchen.

Auch bei Pflicht und Neigung gibt es Felder auf denen wir Hilfe brauchen – und Felder, die wir alleine bearbeiten können.

Im Prinzip ist es leichter als man denkt: Nach meiner Erfahrung gibt es ein magisches Dreieck für den Erfolg:


Ziele

Selbstbewusstsein     Handicap



Foto: Saskia-Marjanna Schulz


Ich brauche Ziele, um meine Wünsche, Sehnsüchte und Visionen zu realisieren.
Ich muss selbstbewusst sein, selbstsicher und brauche Selbstvertrauen.
Dann muss ich mir meine Handicaps ansehen, die auf dem Weg liegen.

Und damit ist für die meisten, die sich auf den Weg machen, der Weg auch schon zu Ende. Denn diesen Handicaps ins Auge zu schauen – davor scheuen sich die meisten Menschen. Und selbst wenn ihnen dies gelingt, wissen sie nicht, wie sie diese Handicaps überwinden können. Deshalb bleiben sie gefangen im Hamsterrad – und glauben, wenn sie nur laufen, werden sie das Ziel schon irgendwann erreichen. Schliesslich sind sie fleissig, ausdauernd und zielbewusst. Und natürlich: HOCHBEGABT!

Aber das reicht nicht.
Die wichtige Lektion heisst: Laufen im Hamsterrad führt nicht zum Ziel.
Und so ist die ganze schöne Pflicht nicht wirklich hilfreich.

Hilfreich ist erst: das Handicap zu erkennen. Und den Mut zu haben, es zu überwinden. Das Problem: Man/frau kann den Splitter im Auge des anderen ganz leicht erkennen – den Splitter oder Balken im eigenen Auge jedoch weniger – oder gar nicht.

Wer helfen könnte? Manchmal ein guter Freund. Oder eine Freundin.
Sicherer ein Arzt, Therapeut und Coach. Aber diese Hilfe annehmen – das kann ein hochbegabter Mensch zumeist nicht. Und so bleibt er/sie im Hamsterrad.

Pflicht ohne Neigung.

Traurig. Sehr traurig.

Aber: Wem erzähle ich das? Du wirst es sicher ähnlich erleben bei den Menschen, die zu Dir kommen.


Foto: Saskia-Marjanna Schulz


Ich sage meinen Coachees oft: Die gute Nachricht heisst: Beten hilft. Vielleicht nicht beim 1.,2. oder 3. Mal. Aber: Beten hilft. Politiker und andere Promis gehen nicht nur deshalb in Kirche, weil die Presse in der Nähe sein könnte. Und ein Kirchgang gut zum Image passt. Sondern weil sie glauben und von der Kraft des Gebetes überzeugt sind. Funktioniert übrigens auch von zu Hause aus. Oder bei Spaziergängen. Und dann erkennt man Chancen und Möglichkeiten, die bei aller Intelligenz lange übersehen worden sind.

Danke, dass Du uns daran erinnert hast: „Jeder ist seines Glückes Schmied“! Wie wahr. Dazu eine kleine Geschichte aus meinem Seminar: Eines Morgens trat die  Konrektorin einer Schule aus Norddeutschland – sie war ebenfalls Seminarteilnehmerin – vor das Frauenseminar und las ein Gedicht vor. Der Autor ist Josef Reding und das Gedicht beginnt wie folgt:

„Es kommt kein Prinz, der dich erlöst,
wenn du die Jahre blöd verdöst,
wenn du den Verstand nicht übst,
das Denken stets auf morgen schiebst.“ (4)

An diesem Tag haben wir eine Sonderschicht in „Selbstbefreiung & Selbstvertrauen“ eingeführt. Das Gedicht wurde nicht nur in meinem Seminar fester Bestandteil – auch die anderen Frauen trugen es in ihr Leben hinein.

Du kennst es wohl schon – jedenfalls habe ich bei Deinen Worten daran denken dürfen: „Du musst Dich selbst aufwecken, statt wie viele Hochbegabte es leider tun, als „Dornröschen“ 100 Jahre zu warten und zu träumen, dass ein schöner Prinz kommt und Dich wachküsst.“

Jeder Mensch hat seine eigenen Erfolgserlebnisse, die vor allem für ihn von Bedeutung sind. Das mag ein Examen an einer Schule oder Hochschule gewesen sein. Oder auch eine Prüfung im richtigen Leben. Eine Prüfung bei Herrn Prof. Dr. Alltag – wie einer meiner Lehrer gerne sagte. Eine Prüfung, die wir bestanden haben, weil wir fleissig waren. Und/oder mutig. Und/oder belastbar. Oder weil wir Zivilcourage zeigten, Disziplin, Liebe.

Es hilft im richtigen Leben, dass wir uns erinnern, was wir schon alles meisterten erre – erinnern, welche Prüfungen und Herausforderungen wir schon bestanden haben.

Wenn ich vor einer schwierigen Situation stehe, erinnere ich mich gerne an meinen Feuerlauf. Vor  Jahren kam einmal eine Freundin vorbei und sagte: Lass uns doch mal einen Feuerlauf machen! Feuerlauf? Du meinst mit nackten Füssen über glühende Kohlen laufen? Genau! Im Seminar sind gerade noch zwei Plätze frei.

Obwohl ich fest davon überzeugt war: das geht nicht! – sagte ich: Ich bin dabei.

Wochen später trafen wir uns in Bonn mit anderen Frauen und Männern aus der Gegend und wurden darauf eingestimmt, am Nachmittag über glühende Kohlen zu gehen. Ich hoffte auf eine Creme oder Wundersalbe – aber nichts. Nein. Nur mit nackten Füssen – schlicht und einfach – ohne Schnickschnack standen wir am frühen Abend vor den drei Metern glühend-heissen Kohlen.


Wer wollte, durfte nun bedachtsam und ruhig diese drei Meter beschreiten. Ich glaubte nicht, dass es möglich war. Von Ferne wehte mich an, dass ich beim Malteser Hilfsdienst eine Ausbildung als Sanitäterin absolviert hatte – und ich ging los. Behutsam – aber doch festen Schrittes. Dann frischer und beschwingt. Ich war so begeistert, dass ich sofort noch einmal die drei Meter ging. Und noch einmal. Neun Meter über glühende Kohlen. Gewiss, meine Füsse waren inzwischen mit Kohlenstaub übersät. Dafür gab es Seife. Aber keine Schmerzen. Keine Blasen. Auch später nicht. Nur ein unbeschreibliches Hochbefühl. WOW!!!

Wer einmal „Unmögliches“ getan hat – sieht die Welt mit anderen Augen an! Das erzählen mir auch immer wieder die Hochbegabten. Und wer gerade verzaubert wurde – kann auch einen neuen Blick auf Pflicht und Neigung werfen!

Dir lege ich jetzt den Osterspaziergang unseres Dichterfreundes ans Herz und wünsche Dir

Buona Pasqua, Fuhuo Jie Kuai Le, Срећан Ускрс, Glaedelig Påske, feseh Magied, Happy Easter, Feliĉan pask(fest)on, Hauskaa Pääsiäistä, Joyeuses Pâques,Χριστος ανεστη, Kali Anesti, veselé velikonoce, Wesol`ych S`wia`t, Feliz Pascua!, Christos woskrese,Kellemes Húsvétot, za veliko noc vse najboljse, Pesach Sameach, Tratry ny Paska!, Sretan Uskrs, Glad Påsk!, Paşte fericit, Vrolijke Pasen, Feliz Páscoa!, Pozdrovlaju s voskresenijem!

Vor dem Tor

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Johann Wolfgang von Goethe, Faust I



Foto: Saskia-Marjanna Schulz (6)


Sei umarmt,

Deine Lilli

 


1 Hier veröffentliche ich regelmässig die News von Stefan Frädrich: Presseportal für Hochbegabung http://hochbegabungspresse.blogspot.de
2 Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf dem Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix gesendet
3 Ullrich, Volker: Otto von Bismarck, Reinbek 1998
4 Reding, Josef: Mädchen, pfeif auf den Prinzen! http://globetrotterin.blog.de/2007/10/20/title~3167717/
Sowie „Einschulungsfeier der Von-Zumbusch-Gesamtschule am 22.08.2012“:
5 Ostern für Hochbegabte: Gedichte, Reden sowie: Das perfekte Ei beim Chemischen Institut der Universität Oslo http://osternhochbegabte.blogspot.com
6 Saskia-Marjanna Schulz http://yesbusinesscoach.blogspot.de