Ich
bewundere Deine Begabung als Fotografin!
Liebe
Karin,
Du hast mir mal wieder so aus der Seele
gesprochen – ich könnte fast Deinen gesamten Artikel wiederholen!
Vom „Berliner
Untergrund“ und dem „Urschrei!“ zum Ballet und zum Mailänder Dom, den ich auch
besonders liebe. Von Stefan Frädrich (1)
zu Deinen tollen Freundinnen, die „der
Problemfalle entkommen“ – weil sie etwas
„tun was Spaß macht, wann immer es geht. Auch wenn sie stattdessen
gerade etwas viel Wichtigeres/Sinnvolleres tun könnten!“ Und wieder zurück zu „Pflicht und Neigung“.
Ich musste diesmal dabei an Bismarck (1815-1898) denken. Und seine langen Spaziergänge
im Sachsenwald und in Pommern.
Sein Leben: Zuerst Hingabe an die Neigung.
Dann erwachten Berufungen und Begabungen.
Die Pflicht übernahm die Führung mit der Selbstdisziplin. Kriege und Siege.
Schaffung des Deutschen Reiches. Ein leichter Weg für den klugen Kopf? Keineswegs.
Es war ein täglicher Kampf. Bismarcks Selbsterkenntnis: „Ich bin stark (…) Aber
schauen Sie nicht, wie es in mir aussieht: Das ist die Hölle.“ (2) Schon 1872
klagte er: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“ (3)
Seine Spaziergänge mit den Hunden „gönnte“
er sich erst als seine Krankheiten ihn dazu zwangen. Neigung als Pflicht.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Wir denken oft, dass es die besonders Erfolgreichen
leichter haben mit dem Erfolg. Vielleicht weil viele von ihnen auf ihre Haltung
achten. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Contenance! Arthur Schopenhauer
(1788 - 1860) drückt es so aus: „Das Spiel lehrt Contenance zu halten, indem
man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt.“ Obgleich Contenance ein
wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint, gilt diese Haltung immer noch für
die meisten der Erfolgreichen, Promis, VIPs. Ein Indianer – eine Indianerin –
kennt keinen Schmerz? Zumindest darf das Elend nicht gezeigt werden.
Aber hier sehen wir einen entgegengesetzten
Trend: Man outet sich zusehends. Mit seiner Krankheit, seinem Leid, seiner
Sexualität. Immer öfter gilt: Man will sich auch in schwierigen Situationen
mitteilen. Isolationen aufbrechen und mutig kommunizieren, was einst unter der
Decke gehalten wurde. Und so erkennen wir, dass wohl alle Menschen Probleme
haben. Nur: die einen können damit besser umgehen als die anderen. Die einen
lassen Hilfe zu – die anderen meinen das selbst schaffen zu müssen. Was meinst
Du: zu welcher Gruppe zählen die Hochbegabten?
Während es im Sport seit langer Zeit
selbstverständlich ist, dass ein Coach den Sportlern zur Seite steht – oder
kannst Du Dir einen Fussballclub ohne Coach vorstellen? – hat sich der Gedanke
an eine Begleitperson auf anderen Feldern erst langsam entwickelt.
Zu Zeiten der klassischen Rollenverteilung
zwischen Mann und Frau, liefen auch die Karrierewege im Westen noch in anderen
Bahnen. Im Management zum Beispiel. Der Sohn – sehr viel seltener: die Tochter –
studierte auch im Ausland, pflegte internationale Kontakte und wurde nicht
selten von einem Freund der Familie betreut. Hinzu kamen andere Freunde der
Eltern und Grosseltern – zumeist ein Geistlicher, ein Lehrer, ein Politiker, ein
Rechtsanwalt und ein Arzt. Der Nachwuchs wurde in entsprechende Netzwerke
eingeführt – und das Leben nahm den üblichen Gang: Karriere, Ehe, Kinder. Man
nahm sich Zeit und pflegte sich und sein Leben – als Mann.
Privat
Die Emanzipation der Frau, technische
Revolutionen und ein neues Bewusstsein beendeten die Idylle. Die Werte
verschoben sich – und Mann konnte nicht immer mithalten mit den Neuerungen.
Manche Männer verloren erst den Überblick, dann den Job und schliesslich sich
selbst. Netzwerke wurden brüchig. Das Vertrauen in Politik und Kirche bekam
Risse. Und bald hatte fast jeder nur noch mit sich selbst zu tun.
Ich hörte in den 80er Jahren zum ersten Mal
von Coaching. Eine Kollegin – Marktforscherin wie ich – kam gerade mit diesen
News aus den USA zurück. Im Management wurde die Methode Coaching soeben langsam
aber sicher eingeführt. Heute gehört sie zum Standard in den Unternehmen – aber
auch in anderen Feldern ist sie inzwischen zu Hause wie etwa in der Politik, in
Schulen, Universitäten.
Wer die Begleitung eines Coaches an seinem
Arbeitsplatz in Anspruch nehmen kann, tut sich leichter mit Pflicht und
Neigung. Und die anderen?
Die Klugen wussten schon immer, wie und wo
sie sich Hilfe holen konnten. Und mit klug meine ich jetzt nicht unbedingt
„hochbegabt“. Denn die Hochbegabten meinen, dass sie immer alles alleine machen
können und müssen. Nicht selten weil es die Umwelt von ihnen erwartet. Wie oft
hören sie die Sätze, die auch dankenswerterweise von Dir in Erinnerung gebracht
werden: „für Dich ist das keine Mühe … ich denke Du bist hochbegabt? … wozu
bist Du denn hochbegabt?“
Kein Wunder, dass sie gerne auf Hilfe
verzichten, weil sie ja gelernt haben, dass sie es „eigentlich“ selbst können
und wissen und tun müssen. Aber ist das wirklich so? Wir erleben Tag für Tag,
dass Hochbegabte nicht alles wissen, können, tun. Woher auch? Hochbegabung
heisst ja nicht Omnipotenz.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Der Ausweg heisst FREIHEIT! Selbst entscheiden,
was ich alleine machen – und was ich lernen will. Und wo ich Hilfe in Anspruch
nehme. Denn mal ehrlich: Wir machen ja auch nicht alle eine Ausbildung zum
Elektriker, Schumacher und Augenarzt – wenn die Steckdose klemmt, die
Schuhsohlen ein Loch haben und wir eine neue Brille brauchen.
Auch bei Pflicht und Neigung gibt es Felder
auf denen wir Hilfe brauchen – und Felder, die wir alleine bearbeiten können.
Im Prinzip ist es leichter als man denkt: Nach
meiner Erfahrung gibt es ein magisches Dreieck für den Erfolg:
Ziele
Selbstbewusstsein Handicap
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Ich brauche Ziele, um meine Wünsche,
Sehnsüchte und Visionen zu realisieren.
Ich muss selbstbewusst sein, selbstsicher
und brauche Selbstvertrauen.
Dann muss ich mir meine Handicaps ansehen,
die auf dem Weg liegen.
Und damit ist für die meisten, die sich auf
den Weg machen, der Weg auch schon zu Ende. Denn diesen Handicaps ins Auge zu
schauen – davor scheuen sich die meisten Menschen. Und selbst wenn ihnen dies
gelingt, wissen sie nicht, wie sie diese Handicaps überwinden können. Deshalb
bleiben sie gefangen im Hamsterrad – und glauben, wenn sie nur laufen, werden
sie das Ziel schon irgendwann erreichen. Schliesslich sind sie fleissig,
ausdauernd und zielbewusst. Und natürlich: HOCHBEGABT!
Aber das reicht nicht.
Die wichtige Lektion heisst: Laufen im
Hamsterrad führt nicht zum Ziel.
Und so ist die ganze schöne Pflicht nicht
wirklich hilfreich.
Hilfreich ist erst: das Handicap zu erkennen.
Und den Mut zu haben, es zu überwinden. Das Problem: Man/frau kann den Splitter
im Auge des anderen ganz leicht erkennen – den Splitter oder Balken im eigenen
Auge jedoch weniger – oder gar nicht.
Wer helfen könnte? Manchmal ein guter
Freund. Oder eine Freundin.
Sicherer ein Arzt, Therapeut und Coach. Aber
diese Hilfe annehmen – das kann ein hochbegabter Mensch zumeist nicht. Und so
bleibt er/sie im Hamsterrad.
Pflicht ohne Neigung.
Traurig. Sehr traurig.
Aber: Wem erzähle ich das? Du wirst es
sicher ähnlich erleben bei den Menschen, die zu Dir kommen.
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz
Ich sage meinen Coachees oft: Die gute
Nachricht heisst: Beten hilft. Vielleicht nicht beim 1.,2. oder 3. Mal. Aber:
Beten hilft. Politiker und andere Promis gehen nicht nur deshalb in Kirche,
weil die Presse in der Nähe sein könnte. Und ein Kirchgang gut zum Image passt.
Sondern weil sie glauben und von der Kraft des Gebetes überzeugt sind.
Funktioniert übrigens auch von zu Hause aus. Oder bei Spaziergängen. Und dann
erkennt man Chancen und Möglichkeiten, die bei aller Intelligenz lange
übersehen worden sind.
Danke, dass Du uns daran erinnert hast:
„Jeder ist seines Glückes Schmied“! Wie wahr. Dazu eine kleine Geschichte aus
meinem Seminar: Eines Morgens trat die Konrektorin einer Schule aus
Norddeutschland – sie war ebenfalls Seminarteilnehmerin – vor das Frauenseminar
und las ein Gedicht vor. Der Autor ist Josef Reding und das Gedicht beginnt wie
folgt:
„Es kommt kein Prinz, der dich erlöst,
wenn du die Jahre blöd verdöst,
wenn du den Verstand nicht übst,
das Denken stets auf morgen schiebst.“ (4)
An diesem Tag haben wir eine Sonderschicht in
„Selbstbefreiung & Selbstvertrauen“ eingeführt. Das Gedicht wurde nicht nur
in meinem Seminar fester Bestandteil – auch die anderen Frauen trugen es in ihr
Leben hinein.
Du kennst es wohl schon – jedenfalls habe
ich bei Deinen Worten daran denken dürfen: „Du musst Dich selbst aufwecken,
statt wie viele Hochbegabte es leider tun, als „Dornröschen“ 100 Jahre zu
warten und zu träumen, dass ein schöner Prinz kommt und Dich wachküsst.“
Jeder Mensch hat seine eigenen
Erfolgserlebnisse, die vor allem für ihn von Bedeutung sind. Das mag ein Examen
an einer Schule oder Hochschule gewesen sein. Oder auch eine Prüfung im
richtigen Leben. Eine Prüfung bei Herrn Prof. Dr. Alltag – wie einer meiner
Lehrer gerne sagte. Eine Prüfung, die wir bestanden haben, weil wir fleissig
waren. Und/oder mutig. Und/oder belastbar. Oder weil wir Zivilcourage zeigten,
Disziplin, Liebe.
Es hilft im richtigen Leben, dass wir uns
erinnern, was wir schon alles meisterten erre – erinnern, welche Prüfungen und Herausforderungen
wir schon bestanden haben.
Wenn ich vor einer schwierigen Situation
stehe, erinnere ich mich gerne an meinen Feuerlauf. Vor Jahren kam einmal eine Freundin vorbei und
sagte: Lass uns doch mal einen Feuerlauf machen! Feuerlauf? Du meinst mit
nackten Füssen über glühende Kohlen laufen? Genau! Im Seminar sind gerade noch
zwei Plätze frei.
Obwohl ich fest davon überzeugt war: das
geht nicht! – sagte ich: Ich bin dabei.
Wochen später trafen wir uns in Bonn mit
anderen Frauen und Männern aus der Gegend und wurden darauf eingestimmt, am
Nachmittag über glühende Kohlen zu gehen. Ich hoffte auf eine Creme oder
Wundersalbe – aber nichts. Nein. Nur mit nackten Füssen – schlicht und einfach
– ohne Schnickschnack standen wir am frühen Abend vor den drei Metern
glühend-heissen Kohlen.
Wer wollte, durfte nun
bedachtsam und ruhig diese drei Meter beschreiten. Ich glaubte nicht, dass es
möglich war. Von Ferne wehte mich an, dass ich beim Malteser Hilfsdienst eine Ausbildung als Sanitäterin absolviert hatte – und ich
ging los. Behutsam – aber doch festen Schrittes. Dann frischer und beschwingt.
Ich war so begeistert, dass ich sofort noch einmal die drei Meter ging. Und
noch einmal. Neun Meter über glühende Kohlen. Gewiss, meine Füsse waren
inzwischen mit Kohlenstaub übersät. Dafür gab es Seife. Aber keine Schmerzen. Keine
Blasen. Auch später nicht. Nur ein unbeschreibliches Hochbefühl. WOW!!!
Wer einmal „Unmögliches“ getan hat – sieht
die Welt mit anderen Augen an! Das erzählen mir auch immer wieder die
Hochbegabten. Und wer gerade verzaubert wurde – kann auch einen neuen Blick auf
Pflicht und Neigung werfen!
Dir lege ich jetzt den Osterspaziergang
unseres Dichterfreundes ans Herz und wünsche Dir
Buona
Pasqua, Fuhuo Jie Kuai Le, Срећан Ускрс, Glaedelig Påske, feseh Magied, Happy Easter, Feliĉan pask(fest)on, Hauskaa Pääsiäistä, Joyeuses Pâques,Χριστος ανεστη, Kali Anesti, veselé velikonoce, Wesol`ych S`wia`t, Feliz Pascua!, Christos woskrese,Kellemes Húsvétot, za veliko noc vse najboljse, Pesach Sameach, Tratry ny Paska!, Sretan Uskrs, Glad Påsk!, Paşte fericit, Vrolijke Pasen, Feliz Páscoa!, Pozdrovlaju s voskresenijem!
Vor dem Tor
Vom
Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch
des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im
Tale grünet Hoffnungsglück;
Der
alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog
sich in rauhe Berge zurück.
Von
dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige
Schauer körnigen Eises
In
Streifen über die grünende Flur.
Aber
die Sonne duldet kein Weißes,
Überall
regt sich Bildung und Streben,
Alles
will sie mit Farben beleben;
Doch
an Blumen fehlts im Revier,
Sie
nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre
dich um, von diesen Höhen
Nach
der Stadt zurück zu sehen!
Aus
dem hohlen finstern Tor
Dringt
ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder
sonnt sich heute so gern.
Sie
feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn
sie sind selber auferstanden:
Aus
niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus
Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus
dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus
der Straßen quetschender Enge,
Aus
der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind
sie alle ans Licht gebracht.
Sieh
nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch
die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie
der Fluß in Breit und Länge
So
manchen lustigen Nachen bewegt,
Und,
bis zum Sinken überladen,
Entfernt
sich dieser letzte Kahn.
Selbst
von des Berges fernen Pfaden
Blinken
uns farbige Kleider an.
Ich
höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier
ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden
jauchzet groß und klein:
Hier
bin ich Mensch, hier darf ichs sein!
Johann
Wolfgang von Goethe, Faust I
Foto:
Saskia-Marjanna Schulz (6)
Sei umarmt,
Deine Lilli
2
Otto von Bismarck: „Kanzler und Dämon“. Auf dem Ereignis- und
Dokumentationskanal Phoenix gesendet
3
Ullrich, Volker: Otto von Bismarck, Reinbek 1998
Sowie
„Einschulungsfeier der Von-Zumbusch-Gesamtschule am 22.08.2012“: