zuerst
einmal Tausend Dank für Dein Zitat aus Wilhelm Meisters Wanderjahre. Ich bin
mit WM Lehrjahre aufgewachsen. Wilhelm und Mignon waren meine Freunde als ich
Teenager war.
Die
Wanderjahre habe ich mir für später aufbewahrt. Jetzt bin ich so berührt,
dass Du sie erwähnst. Eine echte Freude.
Du
hast natürlich Recht. Die hochbegabten und hochsensiblen Menschen, die
wir kennen, brüten zumeist über Büchern oder schreiben selbst welche. Oder sie
arbeiten in Laboratorien. Seltener in Werkstätten oder Organisationsbüros. Aber
auch dort – in den Werkstätten und Orga-Büros, wo viel GETAN wird - habe ich
erstaunliche Menschen mit IQ 130 + erlebt: ihren Ideenreichtum, ihren Erfindergeist,
ihre Kreativität. Bemerkenswerte Arbeit, die GETAN wurde und wird.
Spannend
wäre, wenn sich z.B. die Orga-Hochbegabten mit den Bücher-Hochbegabten und den
Internet-IQ>130 in einer Werkstatt treffen würden. Beim Kochen? Oder
Restaurieren? Oder sonst irgendwie bei Ausgleichsarbeiten. Man könnte
z.B. gemeinsam mit einer Internet-Seite beginnen, wie etwa:
„Hochbegabtenförderung im hessischen Schulwesen“. Vorbildlich diese
Informationen mit Links. Mehr dazu unter meinem PS! Und für den Anfang brauchen
wir nicht 1000 – es reichen ja erst einmal ein Dutzend Hände. Ich kann es mir
schon ausdenken, was damit alles erreicht werden könnte.
Ich
freue mich für die begabte „einfache Hausfrau“, dass Du sie hier nachhaltig
gewürdigt hast. Ich wünsche, sie kann Deine Anerkennung lesen. Ihre Dankbarkeit
und meine sind Dir gewiss.
Danke
auch für Deine erhellende Analyse zu der Förderung von Hochbegabten. Dieser
Me-too-Gedanke von Dir ist vollkommend richtig. Diejenigen, die sich
ausgeschlossen, vernachlässigt und übersehen fühlen, melden sich hier zu Wort.
Inzwischen
kam mir noch ein ergänzender Gedanke: Sicher gibt es die hochbegabten Männer
und Frauen, die gefördert werden wollen. Aber ebenso denke ich inzwischen, dass
es manchen von ihnen vor allem darum geht, GEHÖRT zu werden. Einfach
reden können. Einfach Wertschätzung erfahren. Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Wirkliches Interesse. Vielleicht auch einen besonderen Respekt. Lob. Denn viele
von ihnen fühlen sich einfach un-erhört.
Wie
sich Hochbegabte oft fühlen mit ihren Gefühlen, durfte ich in den letzten
Monaten immer wieder erleben. Einen von ihnen möchte ich hier stellvertretend
zu Wort kommen lassen. Nennen wir ihn Alexander.
Manchmal,
wenn ich mit Hochbegabten arbeite, denke ich an meine Kindertage. Ich sehe: Ich
öffne mein Englisch-Buch und erblicke darin den Riesen Gulliver (1). Er liegt
auf dem Boden. Hilflos. Gefesselt von Liliputaner, die ihn überwältigt haben.
Ich frage mich: Warum wehrt er sich nicht? Zweifelt er an seinem Können? An
seiner Stärke? Kann er nicht erkennen, dass er mächtiger ist, als alle
Liliputaner zusammen?
Daran
muss ich oft denken, wenn ich heute hochbegabte Menschen höre, die sagen: „Ich
muss mich immer klein machen.“ Oder: „Ich verheimliche, dass ich in der Schule
zwei Klassen übersprungen habe.“ Oder: „Ich zähle fast immer bis 10 bevor ich
eine Antwort gebe, damit die anderen nicht merken, wie schnell ich denken
kann.“ Alexander ist einer eben dieser Hochbegabten.
Der
Publizist Ludwig Börne hat einmal gesagt: „Du musst klein sein, willst du den
Menschen gefallen.“
Da
ist sie wieder, sagt Alexander: diese Selbstverleugnung. Die Lüge. Der Betrug.
Und was ist mit Ehrlichkeit? Treue zu sich selbst? Authentizität?
Von
Stefan Zweig ist der Satz bekannt: „Wer einmal zu sich selbst gefunden hat, der
kann nichts auf dieser Welt mehr verlieren.“
Ach
so: die Selbstfindung ist das Geheimnis? Na ja, sagt Alexander, deswegen bin
ich ja hier. Ich will mich selbst verstehen können. Und selbst zu mir stehen –
und aufhören, mich klein machen zu müssen.
Warum
ist das denn so schwer?
Die
Gefühle. Meine Gefühle sind ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Und irgendwie
mag ich auch nicht ran – an das Buch.
Der
schwedische Regisseur Ingmar Bergmann hat einmal gesagt: „Wir sind
Analphabeten, wenn es um Gefühle geht. Wir lernen alles über den Ackerbau in
Rhodesien und den Körper und die Wurzel aus Pi oder wie das heißt, aber kein
Wort über die Seele. Wir sind bodenlos und ungeheuer unwissend, wenn es um uns
selbst und andere geht. Wie soll man jemals andere verstehen, wenn man nichts
über sich selbst weiß?“ „… Analphabeten, wenn es um Gefühle geht …“ Meinen Sie
es so?
Genau!
Mein IQ hat irgendwann mal meinen EQ erschlagen.
Und
jetzt?
Ich
will Frieden schliessen. Mit mir und meinem EQ. Aber das ist nicht so einfach.
Was
meinen Sie: warum nicht?
:-( Hm.
Hm. Hm.
Sie
haben keine Worte für Ihre Gefühle?
:-) Richtig!
Ich
sehe jetzt, wie der Riese Gulliver am Boden liegt. Wie er von seinen Gefühlen
(Liliputanern) gefoltert wird. Unfähig, sich zu wehren. Unfähig überhaupt die
Gefühle angemessen wahrzunehmen, sie auszudrücken und sie zu verarbeiten.
Immer
öfter sprechen hochbegabte und hochsensible Menschen in letzter Zeit davon,
dass sie ihren Emotionen z. T. hilflos gegenüberstehen. So sicher wie sie sich
auf dem Feld ihres IQ bewegen – so unberechenbar ausgeliefert fühlen sie sich
gegenüber ihrer Emotionalen Intelligenz (EI). Oder wie manche sagen: EQ.
Die
gute Nachricht für Alexander: Man kann lernen, intelligent mit den eigenen
Gefühlen und den Empfindungen anderer umzugehen. Denkansätze dazu geben in
jüngerer Zeit z.B. Peter Salovey (2), John D. Mayer (3) und Daniel Goleman (4).
Über
Gefühle und den Umgang mit ihnen nachzudenken ist nicht neu. Wenn wir uns ein
wenig umsehen, entdecken wir in diesem Kontext z.B. die Beliebtheit antiker
Lebensweisheiten von Lucius Annaeus Seneca (5), Epiktet (6) und Marc Aurel (7) und
der anderen Stoiker. Während sich die einen mit einem Häppchen Seneca hier und
da begnügen, steigen die anderen tiefer ein. Das Gedankengut der Stoa ist nach
rund 2000 Jahren immer noch eine Erfolgsgeschichte: „Die stoische Ethik ist
noch heute, namentlich in der angelsächsischen Welt, lebendig; ihr entspricht
das Erziehungsideal des ‚Gentleman‘“ (8). Erziehungsideal des Gentleman? Wer
heute die Weltgeschichte aufmerksam verfolgt, kann sich vielleicht des
Gedankens nicht verwehren, der eine oder andere dieser Herren möge seine
Stoa-Lektion noch etwas gründlicher lesen. Und dabei denke ich durchaus auch an
den einen oder anderen blaublütigen Gentleman. Und die Ladies?
Gleichwohl:
Was macht die Philosophie der Stoiker für uns so spannend?
Sich
klein machen, um anderen Menschen zu gefallen? Das wäre Zenon von Kition,
Panaitios von Rhodos und Gaius Musonius Rufus nicht in den Sinn gekommen. Im
Zentrum ihres Gedankenguts steht der ‚Selbsterhaltungstrieb‘. Die Ziele sind
innere Befriedigung und Glück, sich selbst treu sein und der Natur gemäss zu
leben. (9)
„Selbsterhaltung
und Selbstbehauptung“ sind die Zauberworte und das heisst: sich selbst fördern
UND ZUGLEICH das allgemeine Wohl fördern. (10)
In
einer Zeit, in der der Egoismus gepflegt wird und eine starke Ich-Bezogenheit
die Hitparaden stürmt, kommen Gedanken wie „niemand ist vornehmer als ein anderer“
besonders erfrischend daher. (11)
Und
was sagt Alexander dazu?
Er
überrascht mich mit einem Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer: „Hätte
wohl je ein großer Geist sein Ziel erreichen und ein dauerhaftes Werk
erschaffen können, wenn er das hüpfende Irrlicht der öffentlichen Meinung, d.h.
der Meinung kleiner Geister, zu seinem Leitstern gemacht hätte?“
Wir
lernen, dass wir uns ändern können.
Wir
alle lernen, dass wir uns ändern müssen.
Ach
ja: Wie hat Dir denn die Queen als Bond-Girl gefallen?
Der
Himmel über Berlin – ich wünsche ihn Dir stets mit zauberhaftem Sonnen- und
Mondenschein,
herzliche
Grüsse in den Urlaub
Deine
Lilli
PS
„Hochbegabtenförderung im hessischen
Schulwesen“
Fachgerechte Beratung und Diagnostik sowie
individuelle Förderung von Hochbegabten in Hessen
Walter Diehl
Hessisches Kultusministerium - Referat I.4
Rel.l. MinRat Walter Diehl M.A.
Luisenplatz 10
65185 Wiesbaden
Mail:
Walter.Diehl@hkm.hessen.de
Tel.: 0611 - 368 -
2708 / - 2518 / - 2238
(4) Goleman, Daniel: EQ. Emotionale
Intelligenz. München 1997 http://www.amazon.de/EQ-Emotionale-Intelligenz-Daniel-Goleman/dp/3423360208
(5) Ich habe damit begonnen, mir selbst ein Freund zu
sein. Damit ist schon viel gewonnen, man kann dann nicht mehr einsam sein.
Wisse auch, dass ein solcher Mensch, allen ein rechter Freund sein wird.
(6)
Es sind nicht die Dinge selbst, die uns
bewegen, sondern die Ansichten, die wir von Ihnen haben.
(7) Blick in dein Inneres. Da ist die Quelle des Guten,
die niemals aufhört zu sprudeln, wenn du nicht aufhörst zu graben.
(8)
Philosophisches Wörterbuch. Alfred Kröner
Verlag, Stuttgart 1955. S. 572f
(9) Vgl. http://www.textlog.de/6186.html
(10) Philosophisches Wörterbuch. Alfred
Kröner Verlag, Stuttgart 1955. S. 572f
(11) „Dieselben Anfänge haben alle Menschen, denselben
Ursprung; niemand ist vornehmer als ein anderer, außer wenn er sich durch eine
aufrechte und aufgrund guter Charaktereigenschaften bessere Gesinnung
auszeichnet.“ De beneficiis 2,28,1; zit. n. U. Blank-Sangmeister:
Seneca-Brevier. Stuttgart 1996