Fotos: Dr. Karin Rasmussen, Saskia-Marjanna Schulz, Alexandra Gräfin Dohna

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Sonntag, 27. Mai 2012

Reale Wunder


Liebe Lilli,

danke für Deinen wieder sehr gehaltvollen Brief! Du bist – trotz Deiner Belastung im Beruf – mit Deinem Denken unserer Zeit einfach immer wieder ein ganzes Stück voraus. 

Ich frage mich, ob wir jemals genügend Zeit und engagierte Partner finden werden, um auch nur einen Bruchteil Deiner Ideen einer Verwirklichung näher zu bringen. Aber vielleicht hilft ja der Glaube an Wunder tatsächlich, in der realen Welt etwas zu bewegen, was ohne diesen Glauben einfach keiner tun würde. Du fragst:
Was ist unser Ziel?
Was wünschen sich die Hochbegabten?
Was ist Dein Ziel für die Hochbegabten?

Nun, die letzte Frage kann ich Dir zwar nur vorläufig, aber sehr realitätsnah beantworten: Ich wünsche mir zunächst einfach nur mehr sachkundiges Verständnis für „die Hochbegabten“. Damit meine ich tatsächlich mehr Wissen über das Phänomen Hochbegabung in den Köpfen der Allgemeinheit. Zu oft wird der Begriff in zu vielen verschwommenen Bedeutungen gebraucht. Und viel zu oft muss „die Hochbegabung“ herhalten als vermeintlicher Verursacher von Konflikten, Charakterschwächen oder Leistungsdefiziten. Gleichzeitig gibt es die weit verbreitete Auffassung, dass eigentlich jeder irgendwie mit irgendwas hoch begabt ist – man müsste es nur herauskriegen, zulassen, entwickeln. Und dabei habe der IQ praktisch keine Bedeutung.

Mein Ziel für die wirklichen Hochbegabten ist also, dass sie selbst sich mehr wissenschaftlich fundiertes Wissen über diesen wesentlichen Faktor ihrer Persönlichkeit aneignen und dann zur Verbreitung dieses Wissens in der Öffentlichkeit aktiv beitragen. Dazu gehört natürlich auch, dass sie bereitwillig Auskunft geben über ihre eigenen Erfahrungen mit ihrer Begabung. Also - diese auch als Fakt akzeptieren. Dazu kann und will ich beitragen und dafür will ich weitere Partner gewinnen. Gut, dass Du schon dazu gehörst.

Deine beiden ersten Fragen können nur gemeinschaftlich beantwortet werden. Über „unser Ziel“ sind wir beide schon im Dialog. Wir werden darüber immer wieder weiter diskutieren. Für den Anfang hast Du das sehr schön als Einleitung für diesen Blog formuliert: Miteinander ins Gespräch kommen über „was man wollen kann“. Mit „man“ sind in unserem Zusammenhang ja nicht nur die Hochbegabten gemeint. Um herauszubekommen, was sie sich wünschen, was alles sie „wollen können“ brauchen wir den Dialog. Nein: Dialog ist zu wenig, „Multilog“ wäre besser. Wie kriegen wir das hin? Dein Vorschlag: Mit Hilfe einer empirischen Studie.

So wie Du könnte auch ich mir die ersten Schritte vorstellen: Ein Forschungsdesign entwickeln und dann erst einmal fragen und zuhören. Informationen sammeln. Auswerten. Analysieren. Präsentieren. Zur Diskussion stellen. Und, wenn wir uns auf die wesentlichen Ziele geeinigt haben: Szenarien entwerfen. Und dann los.

Wir werden entweder eine Flut unterschiedlichster Gedanken, Wünsche, Ziele erhalten oder eine kleine Zahl ganz eindeutiger gemeinsamer Absichten – ich bin gespannt. Denn die Frage was wohl geschehen würde, wenn die Probleme der Welt von Hochbegabten gelöst würden, hat ja schon zu vielen heißen Diskussionen geführt und war die zentrale Gründungsidee von Mensa, dem internationalen Verein der Hochbegabten.[1]

Du fragst Dich (und mich) wieder einmal: Welches Image hat Hochbegabung?
Kann es wirklich sein, dass viele erwachsene Hochbegabte ihre Talente ablehnen?

Ja, nach meiner Erfahrung kommt das sogar ziemlich häufig vor – bei denen, die diese Begabung haben. Andere (mit weniger Talenten und ohne Hochbegabung) hingegen hätten sie gern, und dichten sie sich selber an. Paradoxerweise lassen sich die wirklich hochbegabten Erwachsenen sehr leicht von moralisierenden Bescheidenheits-Mahnern verunsichern und zweifeln ständig an sich selbst, während die selbsternannten und in Wahrheit nicht Hochbegabten von derartigen Ermahnungen und Selbstzweifeln in der Regel unberührt bleiben.

Wer aber sind die Moralhüter, die von anderen Demut, Bescheidenheit, ja Selbstverleugnung verlangen? Liebe Lilli, Du weißt es auch, weil Du es mehrfach selbst erlebt hast: Das sind nicht nur die bigotten oder intoleranten (Lehr-)Amtsinhaber der ganz alten Schule. Nein, das sind häufig auch „die anderen Hochbegabten“. Ich bin immer wieder überrascht und erschrocken, wenn mir diese Form der Rechthaberei bei hochintelligenten Menschen begegnet. Andererseits ist dies nur ein weiterer Beweis dafür, dass Intelligenz und Charakter zwei verschiedene Sachen sind. Aus Furcht davor, für arrogant gehalten zu werden, seine Fähigkeiten verleugnen? Nein, genau das kann Hochbegabten nicht helfen, den eigenen Weg zu sich selbst zu finden!

Deshalb glaube ich auch, dass wir in dem von Dir erträumten „Dorf“ dringend die Hilfe von Experten wie etwa Soziologen, Psychologen, Coaches, Pädagogen, Theologen usw. brauchen, wenn von Hochbegabten aus allen Berufsgruppen wirklich etwas Sinnvolles entstehen soll.

Auch dann noch bleibt reichlich Potenzial für die Marke „Fortschritt durch Konflikte“.
Stimmt: Ich könnte meine helle Freude daran haben. Denn viele Hochbegabte gleichzeitig am gleichen Ort – das gibt Stoff für viele wissenschaftliche Studien! Und es wird eine grandiose Herausforderung für die eigene Konflikt- und Stress-Toleranz!

Der Aphorismus von Sir Peter Ustinov: „Ich bin sehr glücklich – weil ich oft im Leben die Möglichkeit zum Unglücklichsein hatte und sie einfach nicht angenommen habe“ könnte das grundlegende Forschungs- und Trainingsprogramm für ein solches Projekt sein.

Das Ergebnis könnte dann wohl werden: „Ich bin sehr glücklich – weil ich oft im Leben die Möglichkeit zum Glücklichsein hatte und sie einfach angenommen habe.“  

Du fragst: Was können wir tun für das Image der Hochbegabung? Auch ich meine: gemeinsam sehr viel. Und ich fange noch etwas bescheidener an als Du: Zunächst sollte jeder einzelne Hochbegabte sich dazu durchringen, das „Wunder“ dieser Gabe (denn das ist es!) als Realität anzuerkennen. Dabei kommt es darauf an, eine realistische Bewertung zu meistern. Also nicht überbewerten und mit Genialität gleichsetzen – aber auch nicht abwerten und zur unbedeutenden, zur vernachlässigenden Randerscheinung erklären. Und vor allem: Nicht mit dem Wert der Persönlichkeit gleichsetzen!

In diesem Zusammenhang denke ich immer wieder gern mit Erich Fromm: Es ist etwas anderes, eine Hochbegabung zu haben, als hochbegabt zu sein.[2]
Und um das zu verstehen, ist Selbsterfahrung der sinnvollste Weg – aber er ist mühsamer als nur die Summe der erinnerten Erfahrung zu reproduzieren. Auch hierbei kann Erich Fromm hilfreich sein.[3]

Wenn das gelingt, wird es auch leichter, den Nutzen der Hochbegabung für die Menschen aufzuzeigen. Denn der besteht meiner Meinung nach nicht so sehr in vermeintlichem „besser wissen“ (also bezahlter oder unbezahlter Ratgeberfunktion), sondern eher darin, dass schneller, komplexer, detaillierter gedacht wird und damit nachhaltigere Lösungsvarianten für zahlreiche Probleme früher als bisher gefunden werden können. Innovation beginnt ja bekanntlich mit Ideen, die man erst mal haben muss. Beratung ist dann eher die Verbreitung der Ideen. Dafür muss man nicht unbedingt hochbegabt sein. Aber es hilft sehr, wenn man die Ideen richtig verstanden hat – und nicht meint, sie erst mal auf „normal“ schrumpfen zu müssen ehe sie für andere verwendbar werden. Also: Vertrauen haben

Und dann die „Kritische Masse“ arbeiten lassen. Diese kritische Masse scheint sich gerade zu entwickeln: Mensa in Deutschland e.V.  hat gerade die magische Mitgliederzahl von Zehntausend (10186 im April 2012) überschritten, immer mehr Menschen engagieren sich in Fördervereinen und Stiftungen zur Begabungsförderung und Deutschland wird von Bildungs- und Wissenschaftspolitikern oft mahnend als das „Land der Ideen“ präsentiert. Damit meinen sie, wir sollten an unsere Tradition als Land der Dichter und Denker anknüpfen und sie beziehen sich dabei gern auf technische und technologische Spitzenleistungen. Mit den gesellschaftlichen Reformen geht es eher schwerfällig und ungeschickt voran. Aber genau das ist eben durch die kritische Masse zu ändern! Wenn wir endlich aufhören, uns über mangelnde Akzeptanz einer scheinbaren Randgruppe zu beklagen und wirklich alle dazu übergehen, jedes Talent dort zu fördern und zu nutzen, wo es vorhanden ist, dann lässt sich die Hochbegabung vom Makel der elitären Absonderlichkeit ganz schnell reinigen.


Wenn wir zwei also mal wieder darüber philosophieren wollen, wie sich das Image der Hochbegabung bis zum Jahr 2022 gewandelt haben wird, kommt mir der Gedanke, dass sie dann gar kein besonderes Image mehr braucht: Sie wird (ich hoffe es sehr!) als so „normal“ gelten, wie sie ist. Schließlich sind wir alle schon heute gleichzeitig Mitglieder der verschiedensten ehemaligen „Randgruppen“ z. B. gleichzeitig Frauen, Mütter, Akademikerinnen, Best Agers, Autorinnen, Verkehrsteilnehmerinnen, Kundinnen, Bloggerinnen, Partnerinnen, Freundinnen, usw. – die heute alle schon keine Randgruppen mehr sind. Und das wird so weitergehen und auch die Hochbegabung erreichen. Je mehr die Menschheit über den Menschen weiß, umso weniger brauchen wir die heute noch übliche Vermessung des Menschen in statistisch begründeten Kategorien. Dann können wir jeden so akzeptieren wie er ist und jeder kann mit dem was er ist auch nützlich für alle sein.

Und ehe jetzt vielleicht bei unseren Lesern ein Proteststurm ausbricht:
Das hat uns Albert Einstein gesagt: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien.“ Und Du zitierst ja auch David Ben-Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.“

Hoffentlich gibt der Sommer recht vielen unserer Leser und auch uns wieder einmal Gelegenheit, das Verhältnis zu sich selbst, zu den anderen und vielleicht auch zum Thema Hochbegabung zu überdenken. Erholung und Entspannung kann sich ja auch beim Denken einstellen, denn: Wohlbehagen ermattet den Geist, Schwierigkeiten erziehen und kräftigen ihn. Francesco Petrarca, Italienischer Dichter *20-Jul-1304, † 18-Jul-1374


Ich wünsche Dir angenehme Denk-Aufgaben, schöne Sonnentage und viel Erfolg bei allem was Dir und uns bevorsteht. Und ich freue mich auf Deine nächsten Gedanken.

Lass es Dir gut gehen, wann immer Du kannst.
Deine
Karin





[2] Erich Fromm: Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft  1976. ISBN 3-423-36103-4
[3] Erich Fromm: Vom Haben zum Sein: Wege und Irrwege der Selbsterfahrung, Ullstein, 2005. ISBN 3-548-36775-5

Sonntag, 13. Mai 2012

„Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.“


Liebe Karin,

danke für Dein Plädoyer für eine „IQ-Partei“. Ich empfinde Dich wahrlich als eine Quelle der Intelligenz, Fürsorglichkeit, Analyse, Kreativität und Vision. Danke dafür.

Was ist unser Ziel?
Was wünschen sich die Hochbegabten?
Was ist Dein Ziel für die Hochbegabten?

Wie können wir diese Ziele definieren?
Mit Hilfe einer empirischen Studie?

So in etwa könnte ich mir die ersten Schritte vorstellen: Ein Forschungsdesign entwickeln und dann erst einmal fragen und zuhören. Informationen sammeln. Auswerten. Analysieren. Präsentieren. Zur Diskussion stellen. Und, wenn wir uns auf die wesentlichen Ziele geeinigt haben: Szenarien entwerfen. Und dann los.

Ich kann es mir sehr schön vorstellen, dies mit Dir und „meinen“ Hochbegabten gemeinsam zu tun. Und wer weiss: vielleicht ist dann auch die Gründung einer IQ-Partei dabei. Oder ein Silicon Valley? Oder ein „Dorf“?

Ein „Dorf“ als eine Einheit, in der hochbegabte Menschen mit ihrer individuellen Vielschichtigkeit, Buntheit und ihrem Begabungspotential zusammen kommen. Sich einbringen, voneinander lernen und partizipieren. Hier können Labore, Werkstätten und Think Tanks entstehen, die dann für die Politik, Wirtschaft und Verwaltung arbeiten werden. Ein Service-Pool und ein Rückzugsort auf Zeit. Nicht nur in der Freizeit: Im Garten arbeiten statt am Schreibtisch. Kirschkonfitüre kochen statt Latein lehren. Bretter bohren statt Buchhaltung büffeln. Leben lernen. Auftanken. Besinnen.

Und anstelle von Wellnessparks werden die Hochbegabten ihre eigene Wellnesswelt zaubern. Zurück zur Natur? Jean-Jacques Rousseau? Ich liebe Diana Vreeland für den Gedanken: „Gib den Menschen nicht das, was sie wollen. Sondern das, wovon sie nie zu träumen wagten.“

Wir werden inzwischen täglich überflutet mit Burnout-Nachrichten und Hintergrundinformationen aus Studien wie dieser „Jeder für sich und keiner fürs Ganze? Warum wir ein neues Führungsverständnis in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft brauchen“[1] Hier finde ich meine Eindrücke der letzten Jahre bestätigt. Das Autorenteam schreibt: Das Top-Management (darunter Minister, Staatssekretäre, Verfassungsrichter, Vorstandsmitglieder führender deutscher Unternehmen, Präsidenten von Forschungseinrichtungen …[2]fühlt sich unter Druck, überfordert und allein gelassen. Als Ursachen sind vor allem die folgenden identifiziert worden:

  1. "Steigende Komplexität … Führungskräfte verlieren die Kontrolle.
  2. Unzureichende Reflexion … Führungskräfte schaffen sich zu wenig Raum für Regeneration und Reflexion. Werte als Kompass scheinen an Bedeutung zu gewinnen.
  3. Getrennte Sektoren … Strukturelle und kulturelle Barrieren verhindern die nötige Zusammenarbeit  … Stattdessen herrscht wechselseitiges Desinteresse, teilweise sogar Antipathie.“[3]


In einem noch näher zu definierenden „Dorf“ könnte mit Hilfe von Experten wie etwa Soziologen, Psychologen, Coaches, Pädagogen, Theologen – und besonders von Hochbegabten aus allen Berufsgruppen  Sinnhaftes entstehen. Ziele, die alle Beteiligte auf eine neue Ebene der Lebensqualität erheben.

Ich stelle mir vor: eine Herausforderung zum Verlieben. Mit reichlich Potential für die Marke „Fortschritt durch Konflikte“. Ich denke: Du wirst Deine helle Freude daran haben.

Was sagte einst David Ben-Gurion, der erste Premierminister Israels: „Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.“

Und bis es soweit ist, frage ich mich: Welches Image hat Hochbegabung?
Kann es wirklich sein, dass viele erwachsene Hochbegabte ihre Talente ablehnen? Und wenn ja: warum? Was ist die Ursache? Sind wir wieder einmal - noch immer? –  bei der Selbstwertschätzung? Und wie kann diese in angenehmere Bahnen geleitet werden?

Wenn ich an Menschen mit besonderen „Ausstattungen“ denke, erinnere ich vor allem zwei Gruppen von Frauen, die ganz offensichtlich mit Besonderem gesegnet sind: Top-Models und Top-Wissenschaftlerinnen.

Die einen können sich mit ihrem Körper besonders gut in Szene setzen. Die anderen mit ihrem Geist. Nun könnte man meinen: beide Gruppen sind mit einem beachtlichen Selbstbewusstsein ausgestattet.

Das Gegenteil ist nach meinen Erfahrungen der Fall. Diese wunderschönen Geschöpfe schauten immerzu auf das, was weniger attraktiv an ihnen war. Und auf all das, was sie nicht wussten und konnten. Nur ganz selten habe ich bei einem „ganz normalen“ Menschen einen solchen Mangel an Selbstsicherheit erlebt.

Und ähnliches kann ich von den Top-Naturwissenschaftlerinnen sagen, die ich kennen gelernt habe: Gehemmt, verklemmt, schüchtern. Zwar konnte eine von ihnen erzählen: „Ich habe mir da so ein Spezialgebiet erarbeitet. Ausser mir gibt es nur noch zwei Menschen auf der Welt, die so tief in die Materie eingedrungen sind.“ Doch kaum hat sie dies im Kreise der ebenfalls so hochbegabten Kolleginnen kund getan – da schlägt sie auch schon die Hände vors Gesicht und schämt sich. Schämt sich, dass sie die Wahrheit gesagt hat. Eine Wahrheit, die jeder Mensch in der einschlägigen Fachliteratur nachlesen kann. 

Die Spitze eines Eisberges?

Selbstredend gibt es Models und hochbegabte Naturwissenschaftlerinnen mit einem gesunden Selbstbewusstsein, einer natürlichen Sicherheit im Auftreten und dem Hauch von Souveränität, der so ungemein sympathisch wirkt.

Sind es die, die wir aus Talkshows kennen? Weil sie gelernt haben, sich gut auszudrücken? Sind es die, die Rhetorik-Bücher lesen, Seminare in „freier Rede“ besuchen? Oder sind es ganz einfach Mitglieder bei den Toastmasters[4]? Toastmasters? Wer oder was ist/sind Toastmasters?

Die Meisterredner/innen sagen über ihre Organisation: „Toastmasters International (TMI) ist eine nichtkommerzielle Bildungsorganisation, die ihren Mitgliedern und der Allgemeinheit ein Trainingsprogramm zur Verbesserung der Kommunikations- und Führungsfähigkeiten anbietet. Die bedeutsamste Komponente dieses Programms stellt ein "Redetraining für jedefrau und jedermann" dar, mit dessen Hilfe die Scheu vor Reden in kleinem und großem Kreis überwunden und grundlegende Fertigkeiten der öffentlichen Rede erarbeitet werden können.“[5]

In Deutschland ist Toastmasters in jeder grösseren Stadt vertreten. Wie etwa in Bochum, Bonn, Bremen. Selbstredend in Berlin, Dresden, München, Leipzig, Köln, Frankfurt.

Nicht auszudenken, wenn alle Hochbegabten nicht nur brillant denken, sondern diese bewundernswerten Gedanken auch noch in eindrucksvolle Reden packen würden. Wie wäre es denn, wenn wir den Aphorismus von Sir Peter Ustinov: „Ich bin sehr glücklich – weil ich oft im Leben die Möglichkeit zum Unglücklichsein hatte und sie einfach nicht angenommen habe.“ kosmetisch bearbeiten würden?

Der Gedanke könnte dann wohl so klingen: „Ich bin sehr glücklich – weil ich oft im Leben die Möglichkeit zum Glücklichsein hatte und sie einfach angenommen habe.“  Die Kunst der „freien Rede“ und die Selbsterlaubnis, sie zu praktizieren, kann eine Chance zu mehr Wohlbefinden sein.

Warum ist die Welt um uns herum nur verhalten begeistert, wenn es um Hochbegabung geht? Ist diese Welt ein Spiegel von uns? Nach der Methode: Wie man in den Wald hinein ruft – so schallt es zurück. Weil Hochbegabte ihre Begabung selten angemessen würdigen und lieben (jawohl: lieben!) – reagiert auch die Umwelt sehr verhalten, wenn nicht ablehnend auf Hochbegabung? Du fragst in Deiner letzten Mail: „Vielleicht kommt die Ablehnung des Themas Hochbegabung einfach aus der Unsicherheit und fehlendem Wissen?“ Und weiter:

„Zwar bemühen sich inzwischen viele Kollegen von uns, auch engagierte Eltern, Neurologen, Pädagogen und Psychologen um mehr Verständnis in der Öffentlichkeit, aber scheinbar halten sich unsere gemeinsamen Erfolge noch in engen Grenzen. Aber vielleicht sind wir auch nur – was typisch für uns wäre(?) – zu ungeduldig?“

Menschen interessieren sich – freiwillig – für das, was sie irgendwie berührt. Warum sollten sich Menschen, die nicht hochbegabt sind, besonders positiv durch Hochbegabte berührt fühlen? Mal abgesehen von denen, die Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte haben, die zu dieser Gruppe zählen.

Nach meinen Erfahrungen neigen die meisten Menschen eher dazu, ein bescheidenes Selbstbewusstsein zu haben. Und dann auch noch das sensible Thema „Intelligenz“. Fast jeder Mensch hat zu Hause, in der Schule oder in der Ausbildung schon einmal erlebt, wie an seiner Intelligenz gezweifelt wurde. Selbst Hochbegabte haben solche Erinnerungen.

Und jetzt stellen wir uns die alltägliche Situation vor: Mensch A (normal begabt) trifft auf Mensch B (hochbegabt) – beide mit einem bescheidenen Selbstbewusstsein. Wenn der Mensch A erlebt, dass Mensch B hochbegabt ist, fühlt er sich wahrscheinlich auf der Stelle weniger intelligent. Und damit weniger wertvoll. Und damit unsicherer. Wer sich so unwohl fühlt, dass er sich zum Handeln gezwungen sieht, wird fliehen oder kämpfen. Der Kampf: Klein-David gegen Goliath. Um diese ungleiche Situation etwas erträglicher zu machen, wird David bemüht sein, Goliath auf ein Normalmass runter zubekommen. Ausgang ungewiss? Erinnern wir uns an Kurt Tucholsky: „Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger!“

Was können wir tun für das Image der Hochbegabung?

Sehr viel.

Fangen wir mal ganz bescheiden an. Und konzentrieren wir uns z. B. auf zwei Aspekte:



  1. Den Nutzen der Hochbegabung für die Menschen aufzeigen.
  2. Vertrauen haben und die „Kritische Masse“ arbeiten lassen.

Zu 1. Zum Beispiel: Hochbegabte organisieren sich in Zirkeln/Gruppen und setzen sich für andere ein. Wie kann das aussehen? Von der Hausaufgabenbetreuung über Nachhilfe bis zu Red-Adair-Teams[6] für Selbständige und kleinere Unternehmen, die sich keine Kreativteams erlauben können. Gegen zunächst mal kleineres Honorar und/oder ehrenamtlich. Das kann ausgebaut werden. Und hier können interdisziplinäre Beratungsteams daraus werden. Interessant für alle Hochbegabte, die sich in ihren Jobs nicht wirklich ausgefüllt fühlen und gerne ein zweites Standbein aufbauen wollen.

Zu 2. Wir erinnern uns an das grossartige Buch von Patricia Aburdene und John Naisbitt: Megatrends: Frauen[7]. Darin wird u.a. das Phänomen der „Kritischen Masse“ beschrieben. Der Begriff „Kritische Masse“, bekannt aus der Kernphysik und Kerntechnik, wird auf gesellschaftliche Phänomene übertragen. Nach dieser Aussage gehen die Autoren davon aus: wenn eine bestimmte Prozentzahl von Menschen eine Idee – ein Verhalten, eine Einstellung – durch Einstellungen und Verhalten unterstützt, wird es nach dem Erreichen der „Kritische Masse“ zu einer signifikanten Veränderung in der Gesellschaft kommen. Als Aburdene/Naisbitt 1993 ihr Buch in Deutschland veröffentlichten, sprachen sie von einem erkennbaren FRAUENTREND in den USA. Expert/innen folgerten: Nach zehn Jahren wird dieser Trend Deutschland erreicht haben.

Meine Seminarteilnehmerinnen und die Menschen, die meine Vorträge in den 90er Jahren an Universitäten erlebt haben, erinnern sich vielleicht daran, dass ich prognostizierte: Spätestens ab dem Jahr 2010 haben wir eine deutsche Bundeskanzlerin! Das Gelächter habe ich heute noch im Ohr: „Die Rheinländerin macht mal wieder Witze.“ Ich gebe es ja zu: Ich habe mich ein wenig verrechnet: Frau Merkel kam schon 2005 an die Macht.

Warum nicht mal darüber philosophieren, wie sich das Image der Hochbegabung bis zum Jahr 2022 gewandelt haben wird? Und dann gute Ideen haben und sie realisieren! Wie man gute Ideen erkennt? Ganz einfach. Das hat uns Albert Einstein doch schon gesagt: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien.“

Der Sommer scheint dieses Jahr nicht wirklich motiviert zu sein,  uns die Sonne zu schicken. Ob wir ihm – dem Sommer –  mal ein Coaching empfehlen sollten?

Ich verabschiede mich für heute mit einem lyrischen Sonnenstrahl von Christian Morgenstern: „Jeder Menschenkopf ist eine Sonne, und seine Gedanken sind die überall hindringenden unsichtbaren Strahlen. Könnten wir sie, wie bei der Sonne, mit unseren leiblichen Augen schauen, so würden sie uns in ihrer Gesamtheit erscheinen wie ein großer Lichtkreis, an dessen Ausdehnung und Leuchtkraft leicht zu erkennen wäre, einen Stern wievielter Größe wir vor uns haben.“

Take care of yourself!

Herzlichst
Deine
Lilli


[2] a.a.O., Seite 4
[3] a.a.O.
[4] Toastmasters  International: http://www.toastmasters.org/default.aspxToastmasters  Europa http://www.district59.org/ , Toastmasters Deutschland www.toastmasters.de 
[6] In Anlehnung an den berühmten „Feuerwehrmann“, der gerufen wurde, wenn die Not besonders gross war http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2009/0922/005_feuer.jsp
[7] Aburdene, Patricia und John Naisbitt: Megatrends: Frauen.